50 Jahre in Hannover auf der Bühne: Das Mittwoch Theater am Lindener Berg feiert 50. Geburtstag mit zwei Kafka-Inszenierungen

Berufswunsch Schauspieler? Seine Eltern hatten dringend abgeraten. Obwohl oder auch gerade weil sie selbst professionell auf der Bühne standen. „Sie hatten für mich eine Beamtenkarriere im Kopf“, erzählt Till Büthe schmunzelnd. Er wurde Lehrer für Deutsch und Erdkunde. Doch die Leidenschaft für das Theater blieb. Nicht im Hauptberuf, aber als intensive Freizeitbeschäftigung. Mit 19 Jahren fing Büthe beim Mittwoch Theater am Lindener Berg an. Heute ist er 69 und gehört noch immer zum Ensemble von Hannovers zweitältestem Privattheater. Das feiert in diesem Jahr sein 50-jähriges Bestehen und bringt zum runden Geburtstag gleich zwei Kafka-Inszenierungen auf die Bühne. Viele Rollen hat Büthe im Laufe der fünf Jahrzehnte gespielt, noch öfter hat er Regie geführt. Von den bis dato 98 Inszenierungen trägt fast ein Viertel seine Handschrift. „Das hat sich so ergeben“, sagt der Pädagoge, der bis zu seiner Pensionierung auch die Theater-AG der Bismarckschule leitete. Er liebt die Präsenz auf der Bühne, aber noch mehr liebt er es, die Geschicke dort zu lenken. Dass Büthe zudem Geschäftsführer des Theater-Trägervereins ist, liegt auch daran, dass in dem 30-köpfigen Amateurteam jeder so viele Aufgaben übernimmt wie möglich. Und sei es den Thekendienst. Nachbarn vom Jazz-Club: „Am Anfang haben wir sogar die Vorhänge genäht“, berichtet Gundula Fechner. Die heute 70-Jährige gehört zu den Gründungsmitgliedern der allerersten Stunde. Sie war dabei, als am 22. April 1970 eine junge, ambitionierte Truppe um Theaterleiter Hans-Hermann Scharnofske am Lindener Berg im ersten Stock einer alten Villa, die der Stadt per Testament vermacht worden war, an den Start ging. Bis heute ist das Theater Mieter in dem Haus, in dessen Keller seit 1966 auch der Jazz-Club zu finden ist. Öffentliche Zuschüsse bekommt das Ensemble nicht. Dass die Eintrittsgelder trotzdem moderat sind, liege daran, dass „praktisch keine Personalkosten anfallen, wir machen ja alles selbst“, sagt Büthe. „Mit absurdem Theater fing es an“, erinnert sich Fechner. Dabei ging es den Pionieren auch um eine Provokation des etablierten Theaterbetriebs. Doch die Zeiten, in denen das Mittwoch Theater (das anfangs nur mittwochs spielte – inzwischen ist der Sonnabend hinzugekommen) sich als Gegengewicht zur Arbeit der großen Schauspielhäuser sah und wortkarge Stücke unter sparsamer Beleuchtung und mit Schauspielern in eng anliegender schwarzer Kleidung aufführte, sind lange vorbei. Die Theaterleute fühlen sich wohl „im Spagat zwischen Klassikern, zeitgenössischem Theater und Experiment“. Mal werde ein landesweit gespieltes Erfolgsstück gewählt, mal wage man sich an eine Eigenproduktion, erklärt Oliver Gruenke, der mit Judith Jungfels das Dramaturgieduo bildet. So führte das Theater 2017 Ferdinand von Schirachs Drama „Terror“ über eine Flugzeugentführung auf – und im Jahr zuvor eine von Gruenke für die Bühne konzipierte Biografie über die Malerin Frida Kahlo. Ein Theaterkritiker nannte die Truppe einmal „das professionellste Laientheater unseres Landes“. Die Bandbreite ist groß: Botho Strauß, Peter Handke und George Tabori finden sich in den Inszenierungen ebenso wie Dario Fo, Rainer Werner Fassbinder und Friedrich Dürrenmatt, Shakespeare, Schiller und Molière. Dass die Bühne in Linden lange geradezu als Brecht-Theater galt, ist nicht zu übersehen. Im Treppenhaus ist das Konterfei des Meisters des epischen Theaters aufgemalt, im Fundus im Dachgeschoss gibt es eine lebensgroße Brecht-Puppe. Kafka als Handpuppe: Franz Kafka, der noch immer zu den Favoriten der Theaterenthusiasten zählt, ist zur Handpuppe geschrumpft. Gruenke hat sie für die aktuelle Inszenierung von „Der Prozess“ anfertigen lassen. „Das soll zeigen, dass Kafka in seiner Beziehung zu Frauen Probleme hatte und sinnbildlich immer kleiner wurde“, erklärt der 57-Jährige. 1994 stand er selbst als Hauptfigur Josef K. auf der Bühne, der aus unerfindlichen Gründen angeklagt wird. „Damals wurde ich nicht genug gehetzt“, meint Gruenke. Das holt er als Regisseur nach: Stefan Mönch muss in der Rolle des K. nun vor sieben Frauen flüchten, „die zu Bestien werden“. Trotzdem sei das Schauspielen ein guter Ausgleich zum Job, sagt der 31-jährige VW-Ingenieur schmunzelnd. Büthe wagt im Jubiläumsjahr ein Kafka-Experiment. Er hat eine Bühnenfassung der Erzählung „Die Verwandlung“ erarbeitet, in der Tuchhändler Gregor Samsa zum käferartigen Ungeziefer mutiert. Diese kombiniert er mit Kafkas „Bericht für eine Akademie“, in der ein Affe zum Menschen werden will. Eine Verquickung dieser Stoffe, in denen es um Metamorphosen geht, habe es auf der Bühne noch nicht gegeben, sagt Büthe. Unterstützung für das ehrgeizige Projekt kommt von Profischauspieler Gerd Zietlow. Er spricht den 16-seitigen Monolog des Affen. Aufführungen sind meist ausverkauft: Zwei Inszenierungen pro Jahr mit jeweils 20 bis 25 (meist ausverkauften) Aufführungen sind im Mittwoch Theater die Regel. Dazu kommt die Vorbereitungs- und Probenphase, die auch mal ein ganzes Jahr betragen kann. Das bedeutet viel Aufwand für ein Ensemble, in dem keiner von der Schauspielerei lebt und die Theaterarbeit erst nach Dienstschluss möglich ist. Nach wie vor gibt es eine starke Lehrerfraktion. „Wir haben auch eine Ärztin, eine Richterin, einen Mechatroniker und eine Goldschmiedin, ich bin Banker bei der Nord/LB“, zählt Gruenke auf, der seit 1983 dabei ist. So unterschiedlich die Lebensläufe sind, das Ensemble eint die Begeisterung für die Bühne. „Man muss schon einen Theaterknall haben“, meint Büthe. Die Altersspanne reicht von 21 bis 80 Jahren. Ein guter Teil der Truppe kennt sich seit Langem. „Das ist wie in einer Familie“, sagt Büthe. „Manche fahren auch zusammen in den Urlaub.“ Nachwuchs zu finden ist nicht immer leicht. Zumal einige Talente wieder abhanden kommen – um Profischauspieler zu werden. Wie Holger Stockhaus, mit dem Büthe Ende der Achtzigerjahre auf der Bühne stand. Heute kennt man ihn aus dem Fernsehen, als skurrilen Bestatter in den Friesland-Krimis des ZDF und aus der Comedy-Reihe „Sketch History“. Die Premiere von „Die Verwandlung“/„Bericht für eine Akademie“ am 29. Februar und die weiteren sieben Vorstellungen sind bereits ausverkauft; eine Wiederaufnahme ist geplant. „Der Prozess“ hat am 25. April um 19.30 Uhr Premiere. 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