Dresdener Intendant Jan Vogler über das Musikleben in den USA

Es ist eine Reise in die neue Freiheit. Von New York aus hat sich der Cellist Jan Vogler mit dem Auto aufgemacht, um mal wieder ein bisschen Kammermusik zu spielen mit seiner alten Freundin, der Pianistin Hélène Grimaud. Die wohnt in Kalifornien an der anderen Seite der USA. Nach langen Monaten des Stillstands stimmt die Fahrt auf der klassischen Route von der Ost- an die Westküste den Musiker nun geradezu euphorisch. Nach Stationen in Cincinnati, Kansas, Denver und dem Arches-Nationalpark ist er an diesem Morgen in Las Vegas angekommen. Es ist noch kühl in der Wüstenstadt und fast unheimlich still – in den Casinos und Hotels herrscht so gut wie kein Betrieb. Doch am Telefon beschwört Vogler schon die nächste Zukunft, die er vor Augen hat: Bald, sehr bald wird das Leben hier und im ganzen Land wieder brummen. „Mit Präsident Biden haben die Impfungen sehr schnell Fahrt aufgenommen“, sagt er. Auch der 57-Jährige hat die Spritzen schon bekommen – genau wie die meisten seiner Bekannten, die ebenfalls Musiker sind. Überleben mit Schaden: Für die Kulturschaffenden im Land scheint damit das Ende einer Situation in Sicht, die noch dramatischer ist als die ihrer Kollegen und Kolleginnen in Europa. „Corona hat das Musikleben in den USA viel radikaler abgeschnitten“, sagt Vogler, der seit Langem abwechselnd in New York und in Dresden lebt. „Auch im Sommer und im frühen Herbst, als in Europa einiges möglich war, herrschte in den USA kompletter Stillstand: Kultur ist hier seit einem Jahr nicht mehr existent.“ Das hat längst Konsequenzen: „Viele Musiker arbeiten nicht mehr als Musiker“, sagt der Cellist. Und selbst etablierte Institutionen, die zumindest etwas staatliche Hilfe und von treuen privaten Spendern teilweise großzügige Unterstützung erhielten, könnten in Schwierigkeiten geraten. „Die großen Orchester werden Schaden nehmen“, sagt Vogler, „aber sie werden wohl überleben.“ Lesen Sie auch Berliner Philharmoniker geben Konzert mit 1000 Besuchern Mancherorts könnte es allerdings doch eng werden. In Philadelphia etwa war der berühmte Klangkörper schon vor Corona in einer schwierigen finanziellen Situation. Und an der New York Metropolitan Opera tobt seit Wochen ein heftiger Streit, weil Direktor Peter Gelb den Mitarbeitern, die seit einem Jahr kein Gehalt mehr bekommen, auch bei Wiederaufnahme des Spielbetriebs die Bezüge dauerhaft um ein Drittel kürzen will. Corona, Klima, Technik: In den USA werde aufgrund des höheren wirtschaftlichen Drucks ein Umbruch schon jetzt offensichtlich, der bald die ganze Musikwelt betreffe, glaubt Vogler. Drei Dinge kämen dabei zusammen: Neben Corona würden auch die Klimakrise und die technische Entwicklung zu Umwälzungen führen. „Die Gleichzeitigkeit dieser Entwicklungen wird das Musikleben stärker verändern, als ich es in meinem 35-jährigen Musikerleben je erlebt habe.“ Zum einem brauche man mehr Effizienz nach Corona, um bald wieder genug Einnahmen zu erzielen. Die Krise werde so zu einem Katalysator, der Entwicklungen beschleunige. Gleichzeitig werde das Tempo des internationalen Betriebs, das in den vergangenen Jahrzehnten „in einem einzigen accelerando“ immer mehr zugenommen habe, nun abgebremst. Tourneen würden nachhaltiger und umweltgerechter geplant: „Ein Umherspringen auf dem Planeten wird es so nicht mehr geben.“ Vor allem aber werden immer bessere digitale Formate an Bedeutung gewinnen, glaubt Vogler. Anders als viele seiner Kollegen, die Streamings unabhängig von ihrer Qualität nur für eine Notlösung halten und so schnell wie möglich wieder einstellen würden, sieht er hier die Zukunft: „Das Streamen mit Tickets wird dauerhaft eine große Rolle spielen. Es wird zusätzlich zum Liveerlebnis ein wichtiges Element für jeden Musiker.“ Die Traumbühne: Darum hat Vogler auch schon ein digitales Konzerthaus aufgebaut: „Dreamstage“ – Traumbühne – ist der hoffnungsvolle Name des Unternehmens, das er gemeinsam mit den erfahrenen Musikmanagern Thomas Hesse und Scott Chasin während des Shutdowns gegründet hat. Jan Vogler, geboren 1964 in Ost-Berlin, ist Cellist und Intendant. Er lebt in New York und Dresden, wo er seit 2009 die Musikfestspiele leitet und sie zu einem der größten deutschen Klassikfestivals ausgebaut hat. 2020 mussten die Festspiele wegen der Pandemie abgesagt werden. In diesem Jahr sind sie in der Zeit vom 14. Mai bis zum 12. Juni geplant. „Das Schlimmste wäre es, die Musikfestspiele noch einmal komplett abzusagen“, sagt Vogler. Covid 19 sei allerdings eine gefährliche Krankheit: „Darum können wir die Musik, so sehr wir sie lieben, nicht kompromisslos ins Zentrum setzen.“ Man müsse aber dafür kämpfen, dass Kultur stattfinden kann. „Wir sind bereits zu allen Änderungen, die dafür nötig sein könnten.“ Musiker, sagt Vogler, seien es gewohnt, sich intensiv um Details zu kümmern. Das führe manchmal zu einem etwas eingefahrenen Denken. „Wir müssen jetzt den Abstand vergrößern und Innovationen zulassen.“ Er selbst versuche, „so wenig Wunden zu lecken“ wie möglich und stattdessen nach vorn zu blicken. Die Dinge werden sich verändern, ob es einem gefalle oder nicht. Vogler hat sich diesbezüglich schon entschieden. Sein Fazit aus dem Leben in der Pandemie: „Ich freue mich auf die Zeit danach.“ Von Stefan Arndt