HAZ-Kommentar zu Weihnachten: Der Hass kommt aus der Angst

Der Satz klingt nach Naivität mit Zuckerguss. Und trotzdem hat er in diesen Tagen Konjunktur: „Frieden auf Erden!“ ist ein Kernsatz der biblischen Weihnachtsbotschaft, den Geistliche wie Politiker derzeit gern zitieren. Er bringt eine Sehnsucht zum Ausdruck, die viele am Ende dieses Jahres empfinden, das so manche Gewissheit ins Wanken gebracht hat. Vom Frieden selbst hingegen ist oft wenig zu spüren. Der Ton in den Debatten ist rauer geworden, im Bundestag ebenso wie an den Küchentischen. Viele halten nur noch für wahr, was in ihr Weltbild passt. Ob Corona-Regeln, Flüchtlingspolitik oder Klimaschutz – es grassiert ein Freund-Feind-Denken, das kaum noch Raum für Kompromisse lässt. Oft wurde beschrieben, dass die Anonymität im Netz die Aggressivität noch verstärkt. Das stimmt, aber die Anonymität ist nicht ihre Ursache. Grobheit ist die Untugend von Untertanen: Grobheit entspringt meist der Verbitterung. Sie ist eigentlich eine Untugend von Untertanen, denn sie zeugt vom verletzten Selbstbewusstsein jener Menschen, der glauben, gegen ihre Unterdrücker aufbegehren zu müssen. In der demonstrativen Patzigkeit, die vergifteten Debatten oft prägt, tritt eine tiefe Verunsicherung die Flucht nach vorne an. Guckt mal, was ich mir herausnehmen kann! Hinter der Empörung und den Verunglimpfungen steckt oft nur die nackte Angst, selbst abgehängt zu werden. Je größer die Ohnmacht, desto kürzer die Lunte. Die Höflichkeit hingegen geht, wie ihr Name schon sagt, auf die Umgangsformen bei Hofe zurück. Höflichkeit gehört also zur Macht. Sie ist ein Zeichen von Souveränität und innerer Freiheit. Wer höflich ist, zeigt, dass er keine Angst hat. Auch nicht vor der Meinung des Andersdenkenden. So bricht die Talkshow-Welle: Im Mittelalter gab es eine goldene Regel für den Disput unter Gelehrten: Jeder durfte seine eigene Meinung erst vertreten, nachdem er zunächst die Meinung seines Gegners wiedergegeben hatte – und zwar möglichst besser, als dieser selbst es gekonnt hätte. Die Talkshow-Welle unserer Tage würde das brechen und es könnte manche vom Hass verhärtete Front überwinden. Aber auch ohne solche Kunstgriffe darf man bei der Suche nach einem moderateren Ton ruhig mehr Weihnachten wagen. Das „Frieden auf Erden!“ hängt nämlich am zweiten Kernsatz der Weihnachtsbotschaft: „Fürchtet euch nicht!“ Man muss kein sonderlich frommer Mensch sein, um den Zusammenhang zu sehen: Wer eigene Ängste benennen und kontrollieren kann, braucht kein Gegenüber mehr als Blitzableiter. Wer sich in Souveränität übt, verlernt den Hass – und wer anderen Respekt bezeugt, stärkt dessen Selbstwertgefühl. Ein bisschen mehr Frieden auf Erden ließe sich mit ein bisschen weniger Furcht schon machen. Frohe Weihnachten! Von Simon Benne