Hannover: Serdar Somuncu macht Autokultur auf dem Schützenplatz

Anfang März war er zum letzten Mal hier. Da hustete er in der Swiss Life Hall vor 3500 Menschen ins Mikrofon, und alle fanden es irgendwie lustig. Husten! Wegen dieser komischen neuen Krankheit! Inzwischen ist die Welt eine andere. Begriffe wie Lockdown, Infektionskette und Notbetreuung gehen uns flüssig über die Lippen. Und Serdar Somuncu tritt auf dem Schützenplatz vor 120 Autos und ein paar Dutzend Dixi-Klos auf. Ein Punktsieg für das Virus. Oder? „Wir haben das nicht ganz ernst genommen“, sagt der Kabarettist nachdenklich. Er berichtet von dem Kollegen, der sich das Leben genommen hat, weil die Aufträge wegblieben. Er rekapituliert in seinem langen, pausenlosen Monolog sehr ernst, wie Corona den Alltag durchdrang. Es ist, als wollte er umreißen, was in einer von Fake News bedrohten Debatte als gesichert gelten darf. Dann aber startet er durch. „Wir werden unfreier“: Somuncu geißelt Verschwörungstheoretiker, die Presse und die öffentliche Meinung, besonders das Freiheit verheißende Internet, das in Wirklichkeit längst zur Pest geworden sei. „Statt uns zu informieren, beschimpfen wir uns“, sagt er. „Das Resultat dieser angeblichen Freiheit ist, dass wir immer unfreier werden.“ Vor allem bringt ihn die grassierende Empörungsbereitschaft auf die Palme – die abnehmende Fähigkeit, andere Meinungen auszuhalten. „Mittlerweile werden Leute zu Faschisten erklärt, die allenfalls neoliberal sind“, sagt er. In Rassismusdebatten gebe es eine regelrechte „Verdächtigungsmaschinerie“. Jeder könne ganz schnell in die „Häckselmaschine der Intoleranz“ geraten. Er weiß natürlich, dass man sich mit solchen Sätzen schnell Applaus auch von der falschen Seite einhandeln kann. Diskurse und Flüche: Unterhalten und Belehren, Belehren und Unterhalten – er will beides verweben, indem er ein sprachliches Wechselbad aus Prolldeutsch und philosophischen Arabesken anrichtet. „Diskursfähigkeit“ und „Scheißdreck“ können da rasch aufeinanderfolgen. Es wird provokant. Wiederholt sagt er „Neger“. Und nennt Genitalorgane beim Namen. Somuncu beleidigt Hundebesitzer und Münchener („arrogante Arschlöcher“). Er beleidigt Deutschtürken, die von der Demokratie in Deutschland profitieren, aber Erdogan wählen. Er beleidigt Corona-Tönnies („Jemand, der Vorstandsvorsitzender von Schalke 04 ist, kann ja nur verseuchtes Fleisch verarbeiten“). Er beleidigt die Fridays-for-Future-Bewegung („Greta Thunberg ist ein Kind, das ich gerne im Ballparadies bei Ikea vergessen würde“). „Jede Minderheit hat ein Recht auf Diskriminierung“, sagt er – das ist sein Credo. Im Grunde ist er einfach gegen Ausbeutung und Oberflächlichkeit, er will Toleranz und Haltung und Meinungsfreiheit. Ein paar aufklärerische Binsenweisheiten sind allerdings schon dabei in diesem Programm. Und am Ende hat Somuncu ein Versprechen: „Das nächste Mal spreche ich über Katzen!“ Lesen Sie auch: So war Serdar Somuncus Auftritt in der Swiss Life Hall „Nicht den Mund verbieten lassen“: Serdar Somuncu im Interview Von Simon Benne