Charly Hübner und das Asambura Ensemble mit Schuberts Winterreise

Es ist erstaunlich, dass ausgerechnet diese Musik gewordene Depression immer wieder neu inspiriert. Einen „Zyklus schauerlicher Lieder“ hat Franz Schubert 1827 seinen Freunden avisiert. Die Musik habe ihn mehr angegriffen, als es je bei anderen Liedern der Fall gewesen sei, fügte er hinzu. Wenige Monate, nachdem er seine Vertrauten mit der Ankündigung und der Musik der „Winterreise“ erschreckt hatte, war Schubert tot. Längst ist die „Winterreise“ der wohl populärste Liederzyklus, ein Stück daraus – der „Lindenbaum“ – wandelte sich sogar bald nach der Entstehung zum Volkslied. Fast 200 Jahre später sind nun neue Bearbeitungen der Stücke auf zwei Alben erschienen, die den Zyklus auf sehr unterschiedliche Weise deuten. Tönender Rückspiegel: Der Schauspieler Charly Hübner versetzt sich mit den Liedern in das Innere eines Mörders: „Mercy Seat“ heißt seine Version nach seinem Song von Nick Cave, der dem Zyklus vorangestellt ist. Das Stück erzählt von den letzten Gedanken eines Verbrechers, der auf dem elektrischen Stuhl – dem Mercy Seat – auf seine Hinrichtung wartet. Schuberts Musik, die von verletzter Liebe erzählt, ist dabei eine Art tönender Rückspiegel, in dem sich ein Tathergang rekonstruieren lässt. Musikalisch ist das interessante Konzept trotz der Mitwirkung von Fachkräften wie dem Gitarristen Kalle Kalima und dem Ensemble Resonanz nicht ganz überzeugend: Hübner nutzt nur selten die Freiheit, die ein singender Schauspieler hätte – so klingt er wie ein sonderbarer Bariton. Spirituelle Synthese: Ganz anders ist die Version des hannoverschen Asambura Ensembles um den 1992 geborenen Komponisten Maximilian Guth. „Winterreise interkulturell“ ist das Album „Fremd bin ich eingezogen“ untertitelt, und tatsächlich treten Schubert und sein Dichter Wilhelm Müller hier in Dialog mit persischen Versen und arabischer Musiktradition. Guth gelingt in seinen Bearbeitungen immer wieder eine spirituelle Synthese, die viel mehr ist als handelsübliche Crossover- und Recomposed-Experimente. Und gesungen wird auch fabelhaft: von Yannick Spanier von der Staatsoper Hannover. Lesen Sie auch: Charly Hübner im Gespräch über Schuberts Winterreise Von Stefan Arndt