Chortage Hannover: Starkes Festival ohne krönenden Abschluss

Neun Konzerte, 3500 Besucher, 1500 Chorsänger aus vier Ländern: Der Intendant Wolfgang Schröfel zieht zufrieden Bilanz, bevor er am Sonnabend in der Galerie Herrenhausen das Finale der diesjährigen Chortage eröffnet. Am Nachmittag waren zunächst der Chor der Leibniz-Universität, die Camerata Vocale Hannover, der Johannes-Brahms-Chor und der Kammerchor Hannover unter dem Motto „A cappella“ aufgetreten. Beim letzten Konzert des diesjährigen Sängerfestivals am Abend aber war beim „A cappella“-Titel ein bisschen Etikettenschwindel dabei, denn nur der Hannoversche Oratorienchor unter Leitung von Keno Weber sang tatsächlich ohne instrumentale Begleitung. Unglückliche Zusammenstellung: Auf dem Programm des traditionsreichen hannoverschen Ensembles standen Volkslied- und volksliedhafte Vertonungen aus Frankreich, Irland, Norwegen und China. Das letzte Stück dieses Konzertteiles, „O du stille Zeit“, ausgerechnet eine Dreißigerjahre-Komposition des Österreichers Cesar Bresgen, stieß jedoch bitter auf. Bresgen war nachweislich ein glühender Verehrer des Nationalsozialismus und eifriger Komponist sowohl für die Hitlerjugend als auch für die SS. Zwar ist es durchaus zulässig, die Musik vom Menschen zu trennen und trotzdem aufzuführen. Dass ausgerechnet diese Stücke nun aber im selben Konzert erklangen wie Auszüge aus einer Anne-Frank-Vertonung, war mehr als unglücklich. Sommerlich-leichte Chormusik: Doch zuvor hatte der bestens aufgelegte Mädchenchor Hannover die größte emotionale Spannweite an diesem Abend erzeugt. Andreas Felber hat nicht nur sommerlich-leichte Stücke wie Léo Delibes’ „Les nymphes des bois“ oder George Gershwins „I got rhythm“ ausgewählt, sondern brachte mit seinem Chor auch die dunkleren Seiten der menschlichen Natur zum Klingen: Petr Ebens „Algedon“, aber auch Heinrich von Herzogenbergs „Untreue“, vorgetragen mit einer angesichts der Jugend dieses Chores erstaunlichen Reife, hinterließen einen tiefen Eindruck. Amerika singt einstimmig: Von den jungen Damen des Gastchores dieses Abends, dem Pittsburgh Girls Choir unter Leitung von Kathryn Barnard, erfuhr man vor allem eines: dass sie unisono singen können. Sie beherrschen diese nur scheinbar leichte Gesangsdisziplin absolut, ihre hellen Stimmen mischen sich perfekt zu einem großen Ganzen. Und doch entstand bei ihrem Auftritt in Herrenhausen der Eindruck, dass die Sängerinnen möglicherweise unterfordert waren mit den süßlichen, eingängigen Klängen der modernen nordamerikanischen Chorliteratur. Erahnbar wurde ihr dramatisches Potenzial bei „Peter“ und „Ideals and Hopes“, zwei Sätzen aus dem Anne-Frank-Zyklus von Linda Tutas Haugen. Hier wurde die Agonie der jungen Anne deutlich spürbar und sorgte für einige Beklemmung beim Zuhörer – die jedoch schon beim nächsten Stück wieder in Wohlgefallen aufgelöst wurde: Angesichts der Bedeutung dieser Botschaften war das ein bisschen schade. Die nächsten Chortage Hannover finden vom 7. bis zum 14. Juni 2020 statt. Das nächste Fest der Chormusik ist schon vom 12. bis zum 15. September dieses Jahres zu erleben: Dann findet erstmals die Chormesse chor.com in Hannover statt. Von Juliane Moghimi