Das Museum der Zukunft: Ideen von Museumsdirektoren

Die Frage ist nicht ganz einfach zu beantworten: Wie sieht die Zukunft der Museen aus? Glücklicherweise gibt es Fachleute, die sich trauen, darauf Antworten zu versuchen. Der Kulturjournalist und Museumsberater András Szántó hat die Leiterinnen und Leiter von Museen in aller Welt zur Zukunft der Institution Museum befragt – und die Interviews in dem spannenden Buch „The Future of the Museum“ zusammengestellt. Die Interview fanden im Jahr 2020 statt, einem Jahr, das für Museen nicht einfach war: Die Corona-Krise gehört ebenso zu den Gesprächen wie der Tod von George Floyd und die darauf folgenden weltweiten Proteste. Ein anderes wichtiges Thema war die Geschlechtergerechtigkeit: Einer der befragten Museumsdirektoren hat mal ausgerechnet, wie lange es für sein Haus dauern würde, bis in der Sammlung seines Hauses Kunst von Männern und Frauen zu gleichen Anteilen vorhanden wäre: Wenn die Kuratorinnen und Kuratoren sofort beginnen würden, nur noch Werke von Künstlerinnen zu kaufen, würde es mehr als 70 Jahre dauern, bis Geschlechterparität hergestellt wäre. Ein großes Unwohlsein am hierarchischen Aufbau klassischer Museen ist bei vielen Befragten zu spüren: Anton Belov, Direktor des „Garage“-Museums für zeitgenössische Kunst in Moskau, sagt: „Die klassische Vorstellung ist die, dass ein Museum fürs Sammeln, Bewahren und Ausstellen da sein sollte. Die Frage ist jedoch, wer entscheidet, was auf welche Weise gesammelt, bewahrt und ausgestellt wird. Ich habe immer wieder gegen die Idee gekämpft, ein Museum müsse wie eine Pyramide aufgebaut sein, mit dem Direktor und den Kuratoren ganz oben und den Besuchern ganz unten, die das zu empfangen haben, was die Experten für sie präsentiert haben. Ich mag diese Vorstellung nicht. Warum sollen die für mich entscheiden?“ Auch Anne Pasternak, die Direktorin des Brooklyn Museum in New York, spricht deutliche Worte gegen die Arroganz, die für viele Museumsleiter und -leiterinnen Teil der Institution zu sein scheint. Museumsleute, sagt sie, sollten „die schreckliche Idee über Bord werfen, dass sie die Autoritäten in Sachen Kunst“ seien. Und Museumsleute sollten vielleicht auch die Vorstellung ewigen Wachstums überwinden: Daniel Birnbaum, der Leiter des Acute Art Museums in London, kritisiert die expansiven Eigenschaften der Institution Museum. Immer noch würden Museumsleute davon ausgehen, dass es gut sei, noch einen weiteren Museumsflügel anzubauen und immer gleich wieder den jüngsten Besucherzahlenrekord zu brechen. Seine Vorstellung: Vielleicht sollte man sich von der Idee verabschieden, dass Kunst immer in architektonischen Strukturen und hinter Mauern stetig größer werdender Museen geschehen soll. Strategien der Öffnung: In vielen Interviews werden Strategien der Öffnung erörtert. Franklin Sirmans, Direktor des Pérez Art Museums in Miami, wünscht sich das Museum als mobiles Kunstlabor, das Projekte in Schulen oder in der Nachbarschaft anbietet. „Wichtig ist das Verständnis dafür, wirklich ein Teil der Gemeinschaft zu sein“, sagt er. Ein Museum kann auch ein Ort der Heilung sein. Victoria Noorthoorn, Leiterin des Museums für moderne Kunst in Buenos Aires, meint, ein Museum sollte etwas von einem Künstlerstudio, etwas von einer Schule und auch etwas von einem Krankenhaus haben. Krankenhaus? Die Museumsdirektorin klärt auf: In einem Museum gehe es um Kunstproduktion, ums Lernen, aber eben auch um Heilung der Gesellschaft und vielleicht auch der Welt. Meriem Berrada, die künstlerische Leiterin des Museums für zeitgenössische afrikanische Kunst in Marakesch, würde den Lernort Museum noch um einige Aspekte ergänzen. Sie sagt: Ein Museum sei der Ort des Fühlens, des Verstehens und ein Ort des Teilens. Es müsse einfühlsam sein und offen für alle. Bestenfalls könnten sich die Besucher dann nicht als Gäste im Haus fühlen, sondern als eine Art Mitbesitzer. Die Besucher, darauf weist Max Hollein, Direktor des Metropolitan Museum of Art in New York, hin, sollten das Gefühl haben, dass das ihr Haus sei. So könne das Museum ein Ermutigungs- und Ermöglichungsraum werden. Ein schönes Beispiel, wie ein Museum die Nähe zu den Menschen in der Stadt suchen kann, kommt aus Benin. Marie-Cécile Zinsou, die Leiterin des Musée de la Fondation Zinsou in Ouidah, erzählt, dass es zu jeder ihrer Ausstellungen einen besonderen Song gebe. Der Song werde auch im Radio gespielt, sodass viele Menschen über die laufenden Ausstellungen informiert seien. Sie sagt, sie habe schon so gut wie jeden bekannten Sänger in Benin für einen Ausstellungssong engagiert. Nicht nur an die nächste Blockbuster-Ausstellung denken: Marion Ackermann, Direktorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, hat sich Gedanken darüber gemacht, wie Museen ihre Relevanz beweisen können. Eine Möglichkeit, einem möglicherweise drohenden Bedeutungsverlust entgegenzuwirken, besteht für sie darin, unterschiedliche Generationen im Museum zusammenzubringen. Dabei sei der Kontakt zu den Zielgruppen nicht immer ganz einfach. Vielfach seien Museen aufgefordert, ihr Publikum über die Kanäle der sozialen Medien zu erreichen. Ackermann bleibt da skeptisch: „Es scheint mir unmöglich, poetische Sprache und nuancierte Argumentationen mit dem Schreiben für soziale Medien zu vereinen. Wir sind dabei, unsere Sprache zu verlieren.“ Dabei sei es in diesen Zeiten besonders wichtig, dass sich Museen Gehör verschaffen. Und das möglicherweise sogar auf Kosten der glänzenden Außendarstellung: „In Zeiten des Populismus sollten Museen aufhören, nur über ihre nächste Blockbuster-Ausstellung nachzudenken“, sagt Ackermann. Erfreulicher- und eigentlich gar nicht weiter erstaunlicherweise taucht ein Name in verschiedenen Interviews öfter mal auf: Alexander Dorner. Der Gründungsdirektor der Kestnergesellschaft in Hannover gilt Museumsdirektorinnen und -direktoren heute immer noch als Vorbild. Dorner hat vom neuen Typ eines Museums gesprochen, das eher ein Kraftwerk sein sollte. Das imponiert Museumsleitern und -leiterinnen auch heute noch. András Szántó: „The Future of the Museum. 28 Dialogues“. Hatje Cantz Verlag. 318 Seiten, 22 Euro. Von Ronald Meyer-Arlt