Richtige Festivals beginnen mit einer Inszenierung von Peter Sellars. Das war in diesem Jahr zumindest bei den Kunstfestspielen Herrenhausen der Fall, und auch die Salzburger Festspiele starten nun mit einer Arbeit des US-amerikanischen Regisseurs: Seine Version von Mozarts Oper „Idomeneo“ ist die erste Premiere beim weltgrößten Musik- und Theaterfestivals, das im kommenden Jahr 100. Geburtstag feiert. Sie ist der Auftakt für einen sommerlichen Reigen von fast 200 Aufführungen, der am 20. Juli mit dem „Jedermann“ beginnt und bis Ende August dauert.
Dramaturgische Klammer dieser Saison sind antike Mythen, überzeitliche Geschichten von Leben und Tod, Liebe und Hass, Schuld und Sühne. In diesen Archetypen sieht Intendant Markus Hinterhäuser den „Urgrund allen Theaters“. Außer in „Idomeneo“, bei dem Sellars seine erfolgreiche Salzburger Zusammenarbeit mit dem griechischen Dirigenten Teodor Currentzis fortsetzt, soll der in Luigi Cherubinis selten gespielter Oper „Médée“ ausgeleuchtet werden, sowie im noch seltener gespielten „Oedipe“ des rumänischen Komponisten George Enescu.
Hannover in Salzburg
Beim 1936 uraufgeführten „Oedipe“ steht Ingo Metzmacher, der Intendant der Kunstfestspiele Herrenhausen, am Pult der Wiener Philharmoniker. In „Idomeneo“ gibt Sopranistin Nicole Chevalier ihr Festspieldebüt, die an der hannoverschen Staatsoper jahrelang „La traviata“ im Alleingang zum Erlebnis gemacht hat. Und auch Andrew Manze, der Chefdirigent der NDR Radiophilharmonie, stellt sich in diesem Jahr erstmals in Salzburg vor: Er dirigiert zwei Mozart-Konzerte mit der Camerata Salzburg.
Warten auf das Jubiläum
Der Salzburger Intendant Hinterhäuser gilt vielen als ein Programmzauberer, dem es immer wieder gelingt, ungewöhnliche künstlerische Konstellationen zu organisieren. Diesmal hat man den Eindruck, dass er sich die großen Knaller für die kommenden Saison aufgespart hat, in der die Festspiele ihr 100-jähriges Bestehen feiern. Mit dem Duo Sellars/Currentzis versucht Hinterhäuser, dessen Vertrag gerade bis 2026 verlängert wurde, an den überwältigenden „Titus“-Erfolg seiner ersten Intendantensaison anzuknüpfen.
Mit dem bildverliebten Achim Freyer als Regisseur des „Oedipe“ und dem Operettenspezialisten Barrie Kosky, der Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“ nach Salzburg bringt, geht Hinterhäuser kein großes Risiko ein. Für Verdis Blockbuster „Simon Boccanegra“ hat er den Dirigenten Waleri Gergijew mit Regisseur Andreas Kriegenburg zusammengespannt –was spannend werden könnte. Eine sichere Bank ist die Wiederaufnahme von Romeo Castelluccis Erfolgsinszenierung von Richard Strauss' „Salome“ aus dem vergangenen Jahr.
Im Wirtshaus „Zum Jedermann“
Der „Jedermann“ steht in Salzburg seit der ersten Festspielausgabe von 1920 auf dem Spielplan. Das Stück von Hugo von Hofmannsthal ist hier ein nie fertiges „Work in progress“. Auch an Michael Sturmingers modernistischer Regie wurde jetzt abermals gefeilt und das Ensemble fast zur Hälfte neu besetzt. Valery Tscheplanowa ist erstmals die Buhlschaft und entspricht kaum dem Klischee der prallen Pin-up-Geliebten des reichen Mannes, der dem Tod ins Auge sieht. In der Doppelrolle von Jedermanns Gutem Gesell und Teufel ist Gregor Bloéb zu erleben. Er ist der leibhaftige Bruder von Jedermann Tobias Moretti, was Hofmannsthals Dauerbrenner ein wenig zur Familienshow werden lässt.
Mit Spannung erwartet werden die beiden Theater-Uraufführungen: Theresia Walsers Stück „Die Empörten“, eine „finsteren Komödie“ mit finalem Knalleffekt, und Albert Ostermaiers Monolog „Zum Sisyphos. Ein Abendmahl“ abermals mit Tobias Moretti in der einzigen Rolle und dargeboten im Wirtshaus „Zum Jedermann“ mit kulinarischer Begleitung.
Von Stefan Arndt und Georg Etscheit