Kulturhauptstadt: Kritik am Auswahlverfahren

Voraussichtlich noch in dieser Woche wird die Kulturministerkonferenz wohl eine bereits zweimal vertagte Entscheidung fällen und Chemnitz offiziell als Kulturhauptstadt Europas 2025 bei der EU melden. Formal hätte das eigentlich noch 2020 geschehen müssen – doch vor allem Bayerns Kulturminister Bernd Sibler, bis Ende des gerade vergangenen Jahres Vorsitzender der Länderrunde, hatte sich dafür eingesetzt, mit der Entscheidung zu warten. Erst sollten alle Vorwürfe gegen das Bewerbungsverfahren ausgeräumt werden. Anfang Dezember waren Verflechtungen zwischen Juroren und einem engen Kreis von internationalen Beratern bekannt geworden. Für Irritation hat unter anderem gesorgt, dass Jurymitglied Jirí Suchánek mit einem Projekt seines Kulturunternehmens selbst im Bewerbungsprogramm von Chemnitz vertreten ist, obwohl die Regularien des Wettbewerbs so etwas eigentlich ausschließen. Bei der kommenden Ministerrunde soll nun die Juryvorsitzende Sylvia Amann eine Erklärung zu diesen und weiteren Vorwürfen abgeben – danach will das Gremium, das jetzt unter dem Vorsitz von Berlins Kultursenator Klaus Lederer steht, die Ernennung aussprechen. Ein schlechtes Signal: Im Vorfeld dieses Prozesses zitierte die „FAZ“ nun aus einem Schreiben einer nicht näher genannten EU-Institution an das Land Sachsen, in dem es heißt, es wäre „ein sehr schlechtes Signal“, wenn Deutschland als erster Staat in der Geschichte des Wettbewerbs die Zustimmung zum Juryvotum verweigern würde. Nicht das erste Mal aber gebe es unterlegene Städte, die sich gegen das Urteil auflehnten, heißt es in dem Schreiben weiter: Es erinnert daran, dass in der Vergangenheit auch Córdoba, Eindhoven und Bergamo mit rechtlichen Schritten gedroht und sich so als „schlechte Verlierer“ erwiesen hätten. Schlechte Verlierer: Die ehrenrührige Wortkombination wird in der Diskussion zunehmend zum Kampfbegriff, der einzelne Akteure oder ganze Städte diskreditiert. Das gilt etwa für den Nürnberger Autor der „Süddeutschen Zeitung“, der viele mutmaßliche Missstände beim Bewerbungsverfahren in einer fundierten Recherche aufgedeckt hat. Erstaunlicherweise wird er dafür nicht gelobt, sondern als parteiisch angeprangert. Als schlechter Verlierer verunglimpft, der angeblich nicht akzeptieren will, dass Nürnberg im Wettbewerb unterlegen ist, verlieren selbst seine gut belegten Argumente an Gewicht. Und auch der bayerische Kulturminister gilt plötzlich als zu heimatverbunden, nur weil er die Vorwürfe aufklären will: eine absurde Situation. In Hannover hatte man sich in der Diskussion auffällig zurückgehalten. Trotzdem wählt der Berater Ulrich Fuchs, der selbst in der Kritik steht, in einem Angriff zu seiner Verteidigung nun auch Hannover zum Ziel: Den „Nürnberger Nachrichten“ sagte Fuchs, er erkenne bei den unterlegenen Städten einen simplen Verdrängungsprozess: „Es waren nicht wir, sondern die anderen. Es waren korrupte Jurymitglieder, es waren korrupte Berater. In der Psychologie nennt man das eine Projektion. Das passiert allerdings nicht nur in Nürnberg, sondern auch in Hannover.“ Fuchs verleiht dem Begriff des „schlechten Verlierers“ so einen quasi wissenschaftlichen Hintergrund. Forderungen in Chemnitz: In Chemnitz richtet man derweil auch ohne das endgültige Votum der Kulturministerkonferenz den Blick nach vorn. „Wir haben vier Jahre, das Programm vorzubereiten“, sagte der Leiter des Kulturhauptstadtprojektes, Ferenc Csák, der Deutschen Presse-Agentur. 2021 sei ein Viertel der Vorbereitungszeit, in der Grundstrukturen geschaffen und Führungspositionen wie die des Geschäftsführers und des künstlerischen Leiters besetzt werden müssten. Im Herbst müsse Chemnitz einen ersten Monitoringbericht abliefern. Csák fordert nachdrücklich weitere Mittel von Bund und Land, etwa um die internationale Erreichbarkeit der Stadt sicherzustellen. Denn die mit rund 245 000 Einwohnern viertgrößte Stadt Ostdeutschlands ist bisher vom Bahnfernverkehr abgehängt. Es sei „keine Bitte, sondern eine Grundvoraussetzung“, dass die Stadt und die Region auf Straße, Schiene und aus der Luft international erreichbar seien, sagte Csák. Lesen Sie auch: Chemnitz will als Kulturhauptstadt bunter werden. In der aktuellen Diskussion über das Bewerbungsverfahren bleibt er gelassen – auch, weil Csák sich in guten Kontakt zu den meisten anderen Bewerberstädten sieht: Chemnitz habe allen unterlegenen Kandidaten offeriert, Angebote aus ihren Bewerbungen 2025 gemeinsam zu verwirklichen, sagte er der „FAZ“: Hannover, Hildesheim und Magdeburg hätten sich bedankt und gratuliert – Nürnberg allerdings erwähnte er dem Bericht zufolge nicht. Von Stefan Arndt