Staatsoper Hannover zeigt den Operettenabend „Tanzen! Singen! Küssen!“ im Gartentheater Herrenhausen

Ein wenig ist die Operette als die „leichte Muse“ verschrien, seichte Unterhaltung zum Hören nebenbei. Dass es auch anders geht und diese Musik vor allem oft leicht klingt, aber beileibe nicht leicht ist, haben Sänger und Instrumentalisten der Staatsoper im Gartentheater Herrenhausen vorgeführt. Operettenfachmann im Einsatz: Mit Kevin Clarke hat sich die Staatsoper einen Operettenfachmann als Moderator an Bord geholt. Clarke leitet das Operetta Research Center Amsterdam – und hatte neben netten und unterhaltsamen Anekdoten sehr viele bedenkenswerte Fakten zu den Werken und Liedern des Abends beizusteuern. Vor allem aber stieß er die Zuhörer immer wieder auf Aspekte der Stücke, über die man normalerweise leicht hinweghört: Erstaunlich, wie hier aktuelle zeitgenössische Themen aufgegriffen und kabarettistisch verarbeitet werden oder wie explizit Erotik und Sexualität dargestellt werden, wenn man die Texte nur genau liest. Das Ganze aber immer so, dass man es auch anders, harmloser verstehen kann. Spaß an der überdrehten Stimmung: Die sechs Gesangssolisten, allesamt aktuelle Ensemblemitglieder der Staatsoper, hatten sichtlich Freude daran, die oft überdrehte Stimmung und teils auch überhitzte Atmosphäre darzustellen. Beim Gesang blieben kaum Wünsche offen. Die Sopranistinnen Hailey Clark, Barno Ismatullaeva und Tahnee Niboro, Tenor Pawel Brozek und die beiden Baritone Michael Kupfer-Radecky und Hubert Zapiór bewegten sich stimmlich sicher auf schlüpfrigem Terrain. Die Schwierigkeit, Kraft und Beweglichkeit in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen, gelang insgesamt gut. Den größten Publikumserfolg landete Hailey Clark mit einem Ausflug in die Welt des amerikanischen Musicals, das ja so etwas wie die Operette von heute darstellt. Ihre Milieuschilderung des „Girl in 14G“, in dem die Belästigung der Neumieterin von Appartement 14G durch den Musikgeschmack der über und unter ihr wohnenden Mieter beschrieben wird, ist eine unterhaltsam-virtuose Mischung aus Oper, Musical und Blues, die viele stimmliche Facetten fordert. Sehr angenehm war die wunderbar bewegliche, leichtfüßige und stilsichere Klavierbegleitung durch Maxim Böckelmann. Nonett für zehn: Das Niedersächsische Staatsorchester war mit einer Abordnung von zehn Bläsern an diesem Abend beteiligt. Mit drei Sätzen aus Charles Gounods Petite Symphonie für Bläsernonett präsentierten sie ein unbekanntes Werk des 19. Jahrhunderts, das zwar noch so einiges an romantischer Tiefe zu bieten hat, in dem man aber auch schon viel von der französisch-mediterranen Leichtigkeit hören kann, die später von Komponisten wie Darius Milhaud oder Jean Françaix verkörpert werden. Schade, dass der Moderator nicht auch noch erklärte, warum das Nonett mit zehn Blasinstrumenten zur Aufführung kam. Die Atmosphäre des Gartentheaters, das wunderbare Wetter und auch die deutlich spürbare Freude des Publikums, endlich wieder Kultur live erleben zu dürfen, machten das Projekt zu einer gelungenen, unterhaltsamen und auch nachdenklichen Veranstaltung. Am Sonntag, 28. Juni, und am Sonnabend, 4. Juli, spielt die Staatsoper Frank Martins „Le Vin herbé“ im Gartentheater Herrenhausen Lesen Sie auch Frank Martins „Le vin herbé“ im Gartentheater Herrenhausen Von Michael Meyer-Frerichs