Sylvia Madsacks neuer Roman „Enriettas Vermächtnis“

Das Erbe ist gewaltig, aber es bringt einige Probleme mit sich. Enrietta, einst eine gefeierte Schriftstellerin aus Buenos Aires, hat in ihrem Testament die junge Schauspiellehrerin Jana und den interessant angegrauten Schönheitschirurgen Emilio zu ihren Alleinerben bestimmt. Sie treffen einander beim Notar zur Verlesung des Testaments. Doch kurz darauf taucht der smarte, anziehende, aber etwas unheimliche Armando auf. Sein Vorteil: Er ist der leibliche Sohn Enriettas. Sein Nachteil: Er wurde im Testament nicht erwähnt. Eine junge Frau, zwei ganz unterschiedliche Männer und ein stattliches Erbe in Höhe von 20 Millionen Franken – das sind die spannenden Zutaten für „Enriettas Vermächtnis“, den neuen Roman von Sylvia Madsack, die nicht nur Mitgesellschafterin der Mediengruppe Madsack, sondern auch Romanautorin ist. Stilvoller Schauplatz: Vor fünf Jahren erschien ihr Roman „Hymne an die Nacht“, das letzte Buch ihrer Trilogie um den Grafen Stanislaw, einem mächtigen Vampir, der seinen Rotwein gern mit ein paar Tropfen Blut gemischt getrunken hat. Atmosphärisch bleibt Sylvia Madsack in der Welt ihrer „Graf-Stanislaw-Saga“ – erlesene Weine, geschmackvolles Interieur, vollendete Umgangsformen sind wichtig, auch Zürich mit seinen edlen Hotels und dem berühmten Seeufer bietet hier erneut einen stilvollen Schauplatz. „Enriettas Vermächtnis“ ist wieder ein Buch zum Träumen und ein bisschen auch zum Fürchten. Der Schrecken hat hier allerdings keine übernatürliche Ursache, sondern kommt aus der Vergangenheit. Armandos Mutter, die berühmte Schriftstellerin Enrietta, hat sich nie zu ihrem Sohn bekannt; damals in Buenos Aires geriet er auf die schiefe Bahn. Hat er sich von seiner kriminellen Vergangenheit gelöst? Das fragt sich Jana, die sich stark von ihm angezogen fühlt. Merkwürdige Anziehungskräfte: Der andere Erbe, der freundliche und liebenswürdige Schönheitschirurg Emilio, hingegen stellt sich eine andere Frage: „Waren er und Jana die Opfer von einer Art Versuchsanordnung, die Enrietta sich ausgedacht hatte?“ Teil einer Versuchsanordnung sind eigentlich alle. Merkwürdige Anziehungskräfte walten hier und manche Reaktion erfolgt rascher und stärker als erwartet. Triebfeder des Gefühlsexperiments ist überraschenderweise gar nicht das Geld. Alle Beteiligten führen ein Leben, das es ihnen ermöglichen würde, ein Millionenerbe auch einfach auszuschlagen. Was die Handlung vorantreibt, ist die Sehnsucht, die Angst und, tja, die Liebe. Die kann aber auch sehr verletzen. Auch das müssen alle Figuren des Romans erfahren. „Enriettas Vermächtnis“ ist kein Schocker, kein Krimi, sondern traumzartes Gefühlskino meist in Moll. Jana, die Frau im Zentrum, ist dabei eine hochinteressante Figur: Sie ist nicht nur verletzlich, sondern auch tatsächlich verletzt, dabei gleichzeitig offen und eigensinnig. Ein starkes Rollenvorbild gerade für junge Leserinnen. Sylvia Madsack: „Enriettas Vermächtnis“. Pendagron Verlag. 286 Seiten, 24 Euro. Von Ronald Meyer-Arlt