Theater an der Glocksee fragt Besucher nach ihren Wünschen

„Gibt es ein Bedürfnis, das wächst und auf dessen Befriedigung du nicht mehr lange wirst warten können?“ Vor einem Jahr hätte einer solchen Frage noch ein gerüttelt Maß Indiskretion angehaftet Jetzt, mit Corona-Routine und Lockdown-Müdigkeit, ist es irgendwie normal. So normal, dass man sie sogar in einem öffentlichen Fragebogen stellen kann. So hat es das Theater an der Glocksee gemacht, diese und vier andere Fragen auf der Homepage und per Newsletter gestellt –und bis jetzt schon rund 100 Antworten bekommen. „Den anderen riechen und spüren“: Weil die Umfrage sich an ein Kulturpublikum richtet, ist natürlich das größte unbefriedigte Bedürfnis ein Theaterbesuch – doch Milena Fischer vom Leitungsteam des Theaters ist bei der Auswertung auch auf andere Sehnsüchte gestoßen: „Umarmungen kommen sehr oft vor. Enkelkinder endlich kennenlernen, Neffen besuchen, Freundinnen treffen. Den anderen riechen und spüren.“ Ganz uneigennützig ist der Fragenkatalog natürlich nicht. „Was wünscht du dir von uns/vom Theater?“ lautet die letzte Frage, und da geht es – neben dem Wunsch nach der Wiederkehr des Liveerlebnisses – vor allem inhaltlich um Pandemie oder nicht Pandemie. „Da scheiden sich die Geister“, sagt Fischer. Die eine Hälfte wolle eine gemeinsame Auseinandersetzung mit der aktuellen Situation, die andere wolle unterhalten werden und nicht auch noch im Theater mit Corona konfrontiert werden. „Und da wird es spannend, weil es uns vor die Frage stellt, ob wir in Zukunft ganz unterschiedliche Sachen anbieten." Umgehen mit dem, was ist: Diese Zukunft gemeinsam mit dem Publikum an einer solchen Gesamtsituation wie dieser entlang zu entwickeln, sei eine der großen Stärken des Genres. Und wenn solche oft fruchtbaren Diskussionen zwischen Machern und Nutzern nicht wie üblich im Theater stattfinden, muss eben ein Fragebogen herhalten – vor allem, wenn unklar ist, wann es wie weitergeht. Derzeit versuche das Theater an der Glocksee, „mit dem umzugehen, was ist“, und das sei komplex genug, sagt Fischer. „Bisher war es so: Man hatte einen Probenprozess von sechs bis acht Wochen, und dann gab’s die Premiere. Das verändert sich gerade. Unser Ziel ist es, Stücke zu entwickeln und dann zu zeigen, wenn wir es wollen.“ Streaming sei eine Möglichkeit, aber „wir wollen das Theater als Begegnungsort nicht aufgeben“. Einige Experimente hat das Theater an der Glocksee im abgelaufenen Jahr schon hinter sich, vom One-on-One-Theater „Connection“ mit jeweils einer Person auf der Bühne und im Saal über Outdoor-Performances bis zur Zoom-Show „Die Spitzen der Wurzel“ mit zuvor an die Besucher verschickten Kleinrequisiten. Das Publikum macht bislang alle Experimente gern mit. „Die sind alle sehr bedürftig“, sagt Milena Fischer. Bedürftig im kulturellen Sinne. Auch das habe der Fragebogen bislang gezeigt. Die gesammelten Antworten sollen nun Grundlage für Zoom-Interviews werden, die dann wiederum in eine Theaterarbeit einfließen sollen. Von Uwe Janssen