Zum 95. Geburtstag: Der Göttinger Germanist Albrecht Schöne legt seine Lebenserinnerungen vor

Er hat für alles gesorgt. Das Grab auf dem alten Göttinger Stadtfriedhof ist ausgesucht. „Nicht weit hinter der Friedhofskapelle liegt es jetzt bereit, nah an einem Teich, der im Sommer mit blühenden Seerosen überdeckt ist“, schreibt Albrecht Schöne. Eigentlich finden auf dem Friedhof keine Begräbnisse mehr statt. Nur einige Ehrengräber gibt es hier noch, sie bleiben Nobelpreisträgern und Ehrenbürgern der Stadt vorbehalten – und auch Trägern des Ordens Pour le Mérite. Weil der berühmte Göttinger Germanist Träger dieser Auszeichnung ist, dürfen er und seine Frau auf dem Friedhof beerdigt werden. Auch ein Zitat, das die Todesnachricht in Anzeigen und Briefen begleiten soll, hat er schon gefunden: Wirf auch die Abendtür zu, Rabbi.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Reiß die Morgentür auf, Ra- – Paul Celan Nicht nur für Germanisten und Göttinger: So soll es sein. Vom Klären der letzten Dinge berichtet Albrecht Schöne im letzten Kapitel seines sehr wahrscheinlich letzten Buches. Es trägt den schlichten Titel „Erinnerungen“ und ist als eine Art Familienbuch für die Enkel entstanden. Der Verleger – und frühere Doktorand Schönes – Thedel von Wallmoden hat den Germanisten davon überzeugt, doch ein autobiografisches Werk daraus zu machen, das sich nicht nur an die Enkel, sondern an alle richtet. Schöne folgte dem Rat und hat seine Erinnerungen so umgestaltet, dass aus den familiären Mitteilungen ein Buch über das 20. Jahrhundert, die Germanistik und das Leben eines Gelehrten geworden ist. Nicht nur Germanisten oder Göttinger können es mit Gewinn lesen. Am 17. Juli 1925 wurde Albrecht Schöne in Barby an der Elbe geboren. Sein Blick zurück reicht aber weiter. Er erwähnt, dass der Name seines Vorfahren Gregor Brück, der Kanzler Friedrichs des Weisen war, schon im Jahr 1530 genannt wurde. Viel erfährt der Leser auch über Schönes Eltern, es sind liebevolle Berichte aus einer fernen Zeit. Allein im Licht: Bei einer Autobiografie muss der Scheinwerfer immer auf die Hauptfigur gerichtet sein. Die Frage ist allerdings, wie weit der Lichtkegel sonst noch reicht, welche Streuung das Licht hat. Hier ist der Lichtstrahl hell und scharf gebündelt und reicht weit zurück in die Vergangenheit, dort erfasst er viele andere Personen. In der Gegenwart aber steht allein Schöne im Licht. Erstaunlich wenig erfährt der Leser von seiner Ehefrau, fast nichts von den Kindern. Mag sein, dass das der ersten Publikationsintention geschuldet ist. Die Lebenserinnerungen sollten den Enkeln gewidmet sein, die über sich und ihre Eltern und Großeltern wohl einigermaßen Bescheid wissen – für die anderen Leser ist es befremdlich, dass sich die Lebenserinnerungen so stark auf Beruf und Karriere konzentrieren. Begeisterung für die Sache der Literatur: Andererseits hat es Albrecht Schöne durchaus verdient, im Licht zu stehen. Seine Vorlesungen haben auf viele Besucher einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Schöne sprach klar und verständlich, mit Begeisterung für die Sache der Literatur und mit einer unerhörten Eleganz, die manche Zuhörer wohl auch provoziert haben mag. Seine Vorlesungen waren offen für die Stadtgesellschaft – und oft auch überfüllt. In seinen „Erinnerungen“ schreibt er, dass den Auftritten am Katheder oft „lange Schreibtischnächte“ vorausgingen. Schöne verstand es, seine Zuhörer zu begeistern, zum Lesen anzuregen und neugierig zu bleiben. Er vermochte erstaunliche Verbindungen in andere Fachgebiete zu ziehen: Psychologie, Geschichte, Jura, Medizin, Theologie – alles konnte dabei helfen, Texte besser zu verstehen. Das Schreiben der anderen: Die meisten Studierenden haben ihn bewundert, einige hatten dabei auch Angst vor ihm. In seinen Erinnerungen berichtet er von seinem Verfahren, Studentinnen und Studenten direkt zu befragen und damit möglicherweise auch bloßzustellen. Und er schreibt von solchen, die ihn überrascht haben. Auch von mittlerweile verstorbenen Studenten und Doktoranden kann er berichten. „An solche Schüler denkt ihr alter Lehrer doch ein wenig wie Eltern an Kinder, die vor ihnen haben sterben müssen“, schreibt er da. Oft glänzt diese Autobiografie und strahlt und blendet, manchmal aber hat sie auch Stellen wie diese, die sehr berührend sind. Albrecht Schöne hat fast immer nur über das Schreiben anderer geschrieben. Sein Ziel: „Am Katheder, am Schreibtisch – aufs Ganze gesehen habe ich eigentlich nur versucht, anleitend und vormachend ein möglichst genaues Lesen zu lehren.“ In diesem Rückblick auf sein eigenes Leben zeigt er, was er auch in all seinen Schriften gezeigt hat: dass er eben auch ein großartiger Autor ist. Das Imponiergehabe des germanistischen Fachjargons war ihm immer fremd. Er hat es schlicht nicht nötig. Er schreibt auf, was war. In möglichst einfachen, klugen Sätzen. Albrecht Schöne: „Erinnerungen“. Wallstein Verlag. 334 Seiten, 28 Euro. Lesen Sie auch Erste historisch-kritische Ausgabe des „Faust“ erscheint Von Ronald Meyer-Arlt