Europa hat die erste Woche mit Alexis Tsipras hinter sich. Es war ein Crashkurs im Umgang mit einer neuen politischen Kultur – und mit einem Mann, den manche wohl doch unterschätzt hatten. Jetzt herrscht Ratlosigkeit. Niemand wird schlau aus Alexis Tsipras. Kommt er auf den Boden der Tatsachen zurück – oder droht die griechische Katastrophe?
Europas Spitzenpolitiker sind irritiert, weil sich der griechische Premier den gängigen Verhandlungsmustern entzieht. Da ist kein Stratege am Werk, der sein Anliegen am Ende langer Verhandlungsnächte durchdrücken will. Tsipras ist ein Populist: Er sagt das, was bei seinen Leuten ankommt. Und wenn ihm Zweifel kommen, dann sagt er eben das Gegenteil. Das Ergebnis ist eine politische Achterbahnfahrt: Erst bändelt Tsipras bei Putin an, dann will er doch lieber zum Westen gehören. Erst wirft Tsipras die Troika aus dem Land, dann will er doch mit den Geldgebern verhandeln. In der zweiten Woche mit Alexis Tsipras wird die Geduld der europäischen Gesprächspartner mit solchen Spielchen schwinden. Wenn der griechische Regierungschef am Mittwoch zu Gast in Brüssel ist, dürfte Klartext geredet werden.
Der Umgang mit Alexis Tsipras ist das eine. Man kann schon darauf vertrauen, dass Europas führende Leute eine richtige Form dafür finden werden. Die politische Herausforderung, die hinter dem rasanten Aufstieg von Tsipras steht, ist das andere. Wie konnte es so weit kommen, dass Populisten in ihren eigenen Ländern wie Befreiungskämpfer gefeiert werden? In Madrid schwenkten spanische Demonstranten am Wochenende griechische Fahnen mit „Venceremos“-Aufdruck. Auf die Unzufriedenheit der Menschen im Süden muss der Rest Europas eine Antwort finden. Sonst haben die Populisten nicht nur in Griechenland ein einfaches Spiel.