Keine Frage, das persönliche Verhältnis zwischen Angela Merkel und Wladimir Putin ist frostig. Die Machoallüren des russischen Präsidenten sind der Kanzlerin ebenso suspekt wie seine KGB-Vergangenheit und der rüde Umgang mit innenpolitischen Gegnern. Putin stört wiederum gewaltig, dass er sich von Merkel sowohl intern als auch auf offener Bühne immer wieder scharfe Kritik anhören muss.
Würde größere Milde beim Blick auf Moskau helfen, die Dinge zum Besseren zu wenden und sogar, wie manche meinen, die gefährliche Syrien-Krise zu entschärfen? Wohl kaum. Selbst wenn sich Merkel und Putin blendend verstehen würden, hätte Deutschland nicht mehr Einfluss auf die russische Haltung als jetzt. Denn in Syrien geht es um grundlegende strategische Interessen Russlands, die über die Sicherung des letzten Mittelmeer-Stützpunkts für die russische Marine weit hinausgehen. Putin will verhindern, dass der Westen nach dem Sturz Gaddafis 2011 erneut ein UN-Mandat dazu nutzt, die westliche Einflusszone zu erweitern. Eher will Putin die eigene Macht ausdehnen. Am liebsten hätte er eine internationale Machtstellung, die dem Einfluss der untergegangenen Sowjetunion zumindest nahekommt.
Ein Hin und Her in London und Paris
SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier hat gut reden, wenn er jetzt die Kanzlerin auffordert, sie möge beim G-20-Gipfel in St. Petersburg dafür sorgen, dass sich US-Präsident Barack Obama und Putin über Syrien verständigen. Auch Gerhard Schröder, der ja noch immer einen hervorragenden Draht zu Putin hat, wäre mit dieser Aufgabe in der gegenwärtigen Lage heillos überfordert.
Das heißt nun allerdings nicht, dass Deutschland auf internationaler Bühne in den vergangenen Wochen eine besonders überzeugende Rolle gespielt hätte. Der Kontrast zwischen der Führung Merkels in der Euro-Krise und ihrem eher zaghaften Agieren gegenüber Syrien ist beträchtlich. Der Kanzlerin ging es zunächst nur um kurzfristige Fehlervermeidung. Anfangs stellte sich Berlin rhetorisch direkt neben Washington und London und forderte „eine entschlossene Reaktion“ auf die Nachrichten vom Giftgaseinsatz durch das Assad-Regime.
Auf keinen Fall wollte Berlin sich noch einmal, wie im Fall Libyen, überraschend an der Seite Russlands und Chinas wiederfinden. Selbst eine indirekte Beteiligung an einem Militärschlag schloss man anfangs nicht völlig aus. Doch als sich zeigte, dass der britische Premier David Cameron für einen Syrien-Einsatz keine Mehrheit im Parlament hatte, konzentrierte Berlin sich wieder auf den Ruf nach einer „politischen Lösung“.
Anderswo in Europa fiel das Hin und Her noch heftiger aus als in Deutschland. Cameron hat sich vergaloppiert. Und die von Frankreichs Präsident François Hollande demonstrierte Entschlossenheit, gegen Assad militärisch vorzugehen, lässt den Verdacht aufkommen, dass er damit von seinen gewaltigen innenpolitischen Problemen ablenken möchte. Längst formieren sich in Paris die Gegner eines Militärschlags.
Russland nimmt dies alles wahr – und beharrt fürs Erste auf seiner abwehrenden Linie. Dass Putin die Arme verschränken kann und sich der Westen mit einer militärischen Reaktion so schwertut, ist auch eine Spätfolge des unseligen Irak-Kriegs vor zehn Jahren. Dieser Waffengang ließ die Skepsis gegenüber amerikanischen „Beweisen“ zu Massenvernichtungswaffen weltweit wachsen.
Ein Signal von Munster nach Moskau?
Was nun? Auch in einem deutschen Labor, im niedersächsischen Munster, werden derzeit Proben aus Syrien erforscht. War tatsächlich Sarin im Spiel, wie britische Wissenschaftler am Donnerstagabend meldeten? Immerhin hat Putin kurz vor dem Gipfel gesagt, im Fall klarer Beweise könne sich seine Position ändern. Die nächsten Tage werden zeigen, ob hier ein Dreh- und Angelpunkt liegt oder nur eine höfliche Geste Putins gegenüber seinen Gästen beim Gipfel.
Merkel muss jetzt, da hat Steinmeier recht, in der Tat ihre Fühler nach allen Seiten ausstrecken. Die Phase, in der sie sich noch hinter der Tatsache verstecken konnte, dass keiner ihrer internationalen Kollegen in der Syrien-Frage ein wirklich überzeugendes Bild abgibt, ist zu Ende. Vor allem muss die deutsche Kanzlerin sagen, worin genau die „gemeinsame Antwort“ der Staatengemeinschaft liegen soll, die sie seit Langem fordert. Viel Zeit bleibt nicht. Schon Anfang der kommenden Woche könnte der US-Kongress grünes Licht für den Militärschlag geben. In St. Petersburg geht es jetzt um nichts Geringeres als Krieg und Frieden.