Eher als erwartet rief der Landkreis Oder-Spree am Abend die höchste Hochwasser-Alarmstufe 4 aus. In Polen beruhigte sich die Situation, nachdem der Hochwasserscheitel der Weichsel in die Ostsee abfloss. In Brandenburg dagegen spitzte sich die Lage zu. Der Pegel Ratzdorf erreichte eher als erwartet die kritische Marke von 5,90 Meter. Das Pegelhaus war vollständig von den Wassermassen eingeschlossen, und die Pegelstände sollen dem Hochwassermeldezentrum zufolge weiter steigen. Mit dem Scheitel der Flut wird dort erst am Freitag gerechnet. Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) brach seinen Urlaub ab.
„Sämtliche Deiche werden jetzt überwacht“, sagte der Landrat von Oder-Spree, Manfred Zalenga (parteilos). Mehr als hundert Deichläufer seien in mehreren Schichten im Einsatz. Zwischen Neiße und Oder würden etwa 50 Kilometer Deich im Landkreis kontrolliert. „Jetzt kriegt man langsam den Ernst der Lage mit“, sagte Freude. Die Deiche und auch die Behörden seien aber viel besser vorbereitet als bei der Rekordflut von 1997. Er habe ein gutes Gefühl.
Brisant war die Lage in Frankfurts polnischer Nachbarstadt Slubice. Große Teile der Stadt liegen unterhalb des Oderpegels. Wasser aus der Kanalisation könnte sie deshalb rasch überfluten und zu Deichbrüchen führen. Das örtliche Krankenhaus wurde geräumt. Bürgermeister Ryszard Bodziacki hat an die Einwohner appelliert, Slubice zum Wochenende zu verlassen.
Aufatmen dagegen an der Weichsel: „Alles ist unter Kontrolle“, verkündete Innenminister Jerzy Miller in Warschau. Nirgendwo bestehe mehr die Gefahr, dass der Fluss über die Ufer trete. Wachsamkeit sei aber nach wie vor gefragt, weil die extrem lange Flutwelle die Dämme geschwächt habe. In Warschau gab Stadtpräsidentin Hanna Gronkiewicz- Waltz gesperrte Straßen und geschlossene Schulen und Kindergärten wieder frei. Wegen Seuchengefahr gilt für den Fluss ein Badeverbot.
Der polnische Regierungschef Donald Tusk besuchte vom Hochwasser massiv betroffene Gebiete im Süden des Landes. In Lanckorona, wo nach Erdrutschen rund 70 Häuser einsturzgefährdet sind, versprach der Politiker, „ganze Siedlungen“ wieder aufzubauen. Am Vortag hatte die Regierung Hilfen in Höhe von zwei Milliarden Zloty (500 Millionen Euro) für die Flutopfer beschlossen. Menschen, die ihre Häuser verloren haben, werden mit 20 000 bis 100 000 Zloty unterstützt. Das Bangen in Brandenburg wird unterressen noch einige Tage anhalten: Die Mündung soll das Oder-Hochwasser einer Prognose des Hydrometeorologischen Instituts in Warschau zufolge erst am 3. Juni erreichen.
dpa