Der neunte Jahrestag war anders. Zwar läuteten die Kirchenglocken wie in den Vorjahren um 8.46 Uhr in ganz New York. Zu diesem Zeitpunkt stürzte vor neun Jahren - am 11. September 2001 - das erste von Terroristen gesteuerte Flugzeug in den Nordturm des World Trade Centers. Im klagenden Ton erinnerten die Glocken an die fast 3000 Menschen, die von islamistischen Todespiloten umgebracht wurden.
Doch mit Besinnung allein war es in diesem Jahr nicht getan. Vor zwei Jahren noch hatten zwei erbitterte politische Gegner am 11. September ihren hart geführten Wahlkampf ausgesetzt. Der heutige US- Präsident Barack Obama und sein damaliger republikanischer Herausforderer John McCain fanden, dass politischer Streit nicht in jeder Situation angemessen sei.
Das hat sich auf verstörende Weise geändert, schreibt die „New York Times“ in einem Kommentar zum Jahrestag. Die Trauer wird überlagert von einer Mischung aus politischen und religiösen Kontroversen. Von einem Streit darüber, ob Muslime dort eine Moschee bauen dürfen, wo Terroristen im Namen Allahs ein Inferno anrichteten. Von der simplen Drohung eines windigen Pastors, am 11. September einen Stapel Korane anzuzünden.
Die aktuellen Debatten um den Jahrestag sind ein Zeichen dafür, dass sich die Haltung vieler Amerikaner zu den Muslimen im Land verändert. Experten sprechen von einer wachsenden Ablehnung. Laut einer aktuellen Umfrage der „Washington Post“ hat die Hälfte der US- Bürger eine schlechte Meinung vom Islam. „Ist Amerika islamfeindlich?“, fragte das Magazin „Time“ kürzlich.
Dabei leben in den USA viel weniger Muslime als in vielen europäischen Ländern: Lediglich 2,5 Millionen unter 305 Millionen Einwohnern. Zum Vergleich: In Deutschland sind es rund 3,5 Millionen Muslime bei einer Gesamtzahl von rund 80 Millionen Einwohnern. Zudem gelten die Zuwanderer aus dem „Morgenland“ in den USA als gut integriert.
Doch was sind Zahlen, wenn es um Emotionen geht, wie sie der geplante Moscheebau am Ground Zero auslöst? Hinzu kommt ein Wahlkampf, der sich mehr denn je um die uramerikanische Mischung aus Politik, Patriotismus und Religion dreht. In weniger als zwei Monaten sind Kongresswahlen und die Republikaner wollen einen Teil der politischen Macht zurückgewinnen, die Obama und seine Demokraten mit Mehrheiten in beiden Kongresskammern in der Hand halten. Die Moschee- Debatte sollte helfen.
So blieb auch Obama nichts anderes übrig, als den 11. September zu politisieren. Das Land dürfe sich nicht teilen lassen, sagte der Präsident in seiner Rede bei der Gedenkfeier am Pentagon. Am Vortag hatte er klarere Worte gefunden: „Wir sind eine Nation unter einem Gott, wir mögen diesem Gott verschiedene Namen geben, aber wir sind eine Nation.“ Ausnahmsweise nahm er sogar den Namen seines Vorgängers in den Mund und erinnerte an die „kristallklare“ Botschaft von George W. Bush, wonach sich die USA nicht im Krieg mit dem Islam befänden, sondern mit Terroristen und Mördern.
Gleichzeitig versucht Obama, die Debatte zu beruhigen, in den größeren Kontext der wirtschaftlichen Sorgen und der Kriegsmüdigkeit der Amerikaner zu stellen: „In einer Zeit, in der die Nation besorgt ist und durch eine harte Phase geht, können Ängste auftauchen. Misstrauen und Spaltungen können in einer Gesellschaft zum Vorschein kommen“, sagte Obama und konstatierte: „Wir müssen sicherstellen, dass wir nicht anfangen, uns gegeneinanderzuwenden.“
Dabei ist es Obama selbst, dem Misstrauen entgegenschlägt. Schon sein Vorname Barack Hussein mutet vielen Amerikanern fremd an. Fast jeder fünfte US-Bürger denkt laut einer aktuellen Umfrage, Obama selbst sei ein Muslim. Die „Washington Post“ sieht darin ein Zeichen, dass sich große Teile der Bevölkerung von ihrem Präsidenten entfernt haben.
dpa