Das Agrarministerium hätte sich den monatelangen „wissenschaftlichen Streit“ mit dem Landkreis Cuxhaven über Amputationen beim Geflügelkonzern Lohmann Tierzucht sparen können, wenn es frühe Hinweise des eigenen Tierschutzdienstes beim Landesamt für Verbraucherschutz (Laves) ernst genommen hätte. Bereits im September 2008 hat das Laves mehrfach davon gesprochen, dass die Amputationen schlicht der Kennzeichnung verschiedener Rassen und Zuchtlinien dienen könnten – was unzweifelhaft den Tatbestand der Tierquälerei erfüllen würde. Dies sei sogar dem Geflügelkonzern selbst bewusst gewesen, meint die Staatsanwaltschaft Stade.
Das Land hätte demnach schon im September 2008 einschreiten müssen. Stattdessen hat das Ministerium 28 Monate mit dem Landkreis diskutiert, ob die Praxis verboten werden muss. Agrarminister Gert Lindemann markierte vergangene Woche im Landtag haarklein die einzelnen Stationen des Bemühens, bis Januar dieses Jahres ein Amputationsverbot durchzusetzen. Der Landkreis hatte unter anderem anhand einer niederländischen Studie seine Auffassung untermauert, dass die Amputationen tierschutzgerecht seien, weil sie später gegenseitige Verletzungen der Tiere unterbinden würden. „Der Gutachtenstreit war ganz offensichtlich ein Ablenkungsmanöver“, meint der Agrarexperte der Grünen, Christian Meyer.
Es gibt in der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Stade indes deutliche Anzeichen dafür, dass die Amputationen nicht allein dazu dienten, den ausgewachsenen Tieren spätere Schmerzen, etwa durch gegenseitiges Picken, zu ersparen. Sowohl die Anklagebehörde als auch der landeseigene Tierschutzdienst des Laves gehen vielmehr davon aus, dass die Cuxhavener Firma durch die Beschneidungen verschiedene Rassen und Zuchtlinien kennzeichnen wollte – dafür gibt es im Tierschutzgesetz keinen Ausnahmetatbestand vom grundsätzlichen Amputationsverbot.
Staatsanwalt Kai Breas bestätigte am Donnerstag: „Bei den Hühnerküken sollten so die einzelnen Rassen unterschieden werden.“ Bei den Hähnen sei es darum gegangen, verschiedene Linien zu trennen. Eine Bestätigung dafür findet sich auch in einem internen Protokoll der „Ethikkommission“ von Lohmann aus dem Jahr 2006, das dieser Zeitung vorliegt. In der Sitzung wurde über Alternativen zum Kammschneiden nachgedacht: „Wir brauchen eine zusätzliche Identifikationstechnik, um Sexfehler zu unterscheiden.“ In derselben Sitzung, schon vier Jahre bevor die Praxis beendet wurde, räumt die Kommission sogar ein, dass die Amputationen zur Unterscheidung gar nicht mehr benötigt würden – jedenfalls nicht bei Zuchthähnen, die später braune Eier legende Hennen erzeugen sollen: „Flock denkt, dass wir auf Kämmeschneiden bei braunen Hähnen verzichten können“, wird die Einschätzung des damaligen Leiters der Genetikabteilung des Konzerns, Prof. Dietmar Flock, wiedergegeben.
Im Juni 2009 weist das Laves in einer weiteren Stellungnahme sogar ausdrücklich auf dieses Protokoll hin und kommt zu dem Schluss: „Kammamputation zählt nicht zu den zugelassenen Kennzeichnungsmethoden.“ Das Ministerium wollte dazu auf Anfrage nichts sagen. Der Landkreis gibt an, von dem Kennzeichnungszweck nichts gewusst zu haben.