Manchmal muss man sich als Journalist auch ein bisschen unbeliebt machen. Also erledigen wir das gleich vorneweg. Denn es ist völlig klar, dass Tayfun Korkut der Blick in die Vereinshistorie in diesem Fall nicht gefallen wird. Aber was der Trainer von Hannover 96 nicht hören möchte, kann ja für die Anhänger des Fußball-Bundesligisten trotzdem durchaus spannend sein, die nach dem tollen Saisonstart und dem aktuellen 3. Tabellenplatz euphorisch nach vorne blicken. Also halten wir uns an die nüchternen Fakten: Ja, 96 war schon einmal Bundesliga-Spitzenreiter. Genau genommen sogar viermal. Aber es ist schon ein bisschen her. Am 29. August 1969 standen die „Roten“ nach dem 2. Spieltag zuletzt auf Platz 1. Und nicht wenige Fans träumen jetzt ein bisschen davon, dass es am kommenden Wochenende nach dem Spiel beim SC Paderborn wieder einmal so weit sein könnte.
Doch wer sich in den kommenden Tagen zu diesem Thema knackige Aussagen von Korkut oder einem seiner Spieler erhofft, dem muss man an dieser Stelle schon einmal ein wenig die Hoffnung nehmen. Begriffe wie Tabellenführung oder Champions League gehörten selbst unter dem Eindruck des über weite Strecken starken Auftritts beim 2:0-Sieg gegen den Hamburger SV am Sonntagabend nicht zum Vokabular der 96-Profis. Ganz im Gegenteil. Die Hannoveraner nutzten jede sich bietende Gelegenheit, um bloß nicht den Eindruck zu erwecken, sie würden den Blick auch nur ein bisschen weiter nach oben richten.
„Sieben Punkte sind natürlich ein großartiger Start“, erklärte Nationaltorwart Ron-Robert Zieler, der vor den Augen von Bundestrainer Joachim Löw im dritten Saisonspiel zum zweiten Mal zu null gespielt hatte. „Aber es ist viel zu früh für eine Zwischenbilanz. Erst wenn wir am 30. oder noch besser am 34. Spieltag da oben stehen, dann können wir zufrieden sein.“ Und dass sich das für 96 so schöne Tabellenbild tatsächlich bis dahin konservieren ließe, das glauben wahrscheinlich nur die größten Optimisten im Klub. Martin Kind zumindest – so viel ist sicher – gehört nicht zu diesem Kreis. Und das macht er auch in dieser Situation deutlich. „Euphorie ist ein schlechter Ratgeber“, diktierte der Klubchef am Sonntag den gespannt lauschenden Medienvertretern in die Blöcke. „Wir müssen realistisch bleiben.“
In dieser Hinsicht könnte man Leon Andreasen als Musterbeispiel nehmen. Der Däne, der mit seinem Kopfballtor zur 1:0-Führung gegen den HSV nicht unwesentlich zum aktuellen Stimmungshoch beigetragen hat, wirkte sogar fast etwas genervt angesichts der Frage nach aufkommender Euphorie. „Es ist doch immer dasselbe in Hannover“, erklärte der Mittelfeldspieler, der in den vergangenen fünfeinhalb Jahren eine ganze Menge an Auf und Ab bei 96 erlebt hat. „Wenn es bei uns mal ganz gut läuft, werden alle gleich euphorisch und sprechen von der Europa League.“ Für solche Gedankenspiele sei es nach dem 3. Spieltag doch nun wirklich viel zu früh.
Recht hat der Mann. Also blicken wir lieber nur bis zum nächsten Wochenende nach vorne. Da könnte sich – so viel Euphorie muss erlaubt sein – 96 mit einem Sieg in Paderborn noch ein bisschen in der Spitzengruppe festbeißen. Und wenn dann auch noch Tabellenführer Bayer Leverkusen beim VfL Wolfsburg und der FC Bayern München in Hamburg stolpern ... Nein, das schreiben wir jetzt lieber nicht. Sonst dürften wir Tayfun Korkut in den kommenden Tagen beim besten Willen nicht am Trainingsplatz über den Weg laufen.