Burgdorf: ASB-Wünschewagen fährt todkranken Burgdorfer Reinhold Goldschmidt zum Hamburger Hafen

Reinhold Goldschmidt lebt allein, aber nicht einsam: Dies verdankt der ehemalige Matrose vor allem einer Ärztin, die den 73-Jährigen aus Burgdorf seit mehr als einem Jahr begleitet. Die Psychoonkologin Nicole Drees aus dem Krankenhaus Siloah sorgte jetzt auch dafür, dass der ASB-Wünschewagen dem ehemaligen Matrosen eine letzte Fahrt ermöglichte. „Ein solches Engagement vonseiten einer behandelnden Ärztin ist für uns auch einmalig“, sagt Julia-Marie Meisenburg vom Wünschewagen-Team. Ihren Angaben zufolge ist der alleinstehende Goldschmidt so unheilbar an Lungenkrebs erkrankt, dass er bald sterben wird. Seit der Diagnose im April 2018 habe er viele Wochen in der Klinik verbracht, seine Krankheit habe ihn sehr geschwächt und oft könne er sich kaum noch auf den Beinen halten. Sein letzter Wunsch, eine Reise nach Hamburg, schien ihm deshalb unerfüllbar – nicht aber der Medizinerin. Ihr hatte Goldschmidt von den „weißen Schwänen des Südatlantiks“ erzählt, jenen eleganten baugleichen Stückgutschnellfrachtern, die ab Anfang der 1960-er Jahre über die Weltmeere schipperten. ASB-Team fährt mit Burgdorfer nach Hamburg: Auch Wünschewagen-Fahrgast Goldschmidt gehörte vor 51 Jahren zur Crew – vier Monate war er Teil der Besatzung der „Cap San Augustin“. Die ist inzwischen eingemottet worden. Und so bleiben dem 73-jährigen nur Erinnerungen an diese wunderschöne Zeit, an eine Reise nach Argentinien, den Besuch des Karnevals in Rio de Janeiro in Brasilien. Erinnerungen, die immer wichtiger für den Burgdorfer werden, wie Meisenburg sagt. Deshalb sei der Wunsch gewachsen, noch einmal die „Cap San Diego“ zu besuchen, das Schwesternschiff „seines“ Dampfers. Das liegt an der Überseebrücke im Hamburger Hafen, ist inzwischen ein Museumsschiff. „Uns eint die Leidenschaft für dieses Schiff“, sagt Drees, die bereits selbst mehrfach mit der „Cap San Diego“ unterwegs war. Sie habe deshalb nachvollziehen können, dass Goldschmidt das Schiff noch einmal sehen wollte – zumal er zu fast jedem Termin im Krankenhaus auch Postkarten und Bilder von seiner Fahrt mitbrachte. Als die Psychoonkologin anhand von Diagnosen feststellen musste, dass Goldschmidts Traum, im Frühjahr 2020 nach Hamburg zu reisen, sehr schwer umzusetzen sein wird, stellte sie den Kontakt zum niedersächsischen Team vom ASB-Wünschewagen her. Und das organisierte innerhalb weniger Tage die Wunschfahrt, brachte den Schwerkranken mit dem Spezialfahrzeug nach Hamburg. Auch Drees reiste mit – nicht für die Betreuung, sondern als befreundete Begleiterin. Dank ihrer Vermittlung begrüßten „zwei alte Seebären“ um die 80 Jahre den einstigen Matrosen, sie holten ihn an Bord und brachten ihn auch wieder zurück. „Es war ein unglaublich liebevoller Empfang“, sagt Drees. Goldschmidt erkennt Route auf alten Karten wieder: Beim Besuch auf der Kommandobrücke der „Cap San Diego“ sagte der Krebspatient, der für die Zeitreise noch einmal alle Kräfte mobilisierte, sogar auf eigenen Beinen auf Besichtigungstour durch den Dampfer ging, strahlend: „Dass ich das noch erleben darf!“ Begleitet wurden der Burgdorfer und die beiden ehrenamtlichen ASB-Wunscherfüller Alexander Hermes und Gianluca Mordhorst während der Tour von der Kommandobrücke bis zur Ladeluke von ehemaligen Matrosen, die heute auf der „Cap San Diego“ Führungen anbieten. Und mit denen tauschte Goldschmidt jede Menge Seemannsgarn aus. So zeigte er den ASB-Helfern auf alten Seekarten, wohin er einst mit dem Dampfer unterwegs war. „Ich bin doch kein Kellerkind“: Und plauderte auch ein paar Anekdoten aus. Angesichts der Offiziersmesse erzählte er von Matrosen-Kollegen, die sich dort immer heimlich unter den Tisch legten, um mal völlig ungestört und vor allem unentdeckt ein Gläschen Schnaps trinken zu können – das war ansonsten nämlich streng verboten. Den Maschinenraum wollte Goldschmidt übrigens als einzigen Ort nicht besichtigen. „Ich bin doch kein Kellerkind“, sagte er empört und erklärte den überraschten Wunscherfüllern, dass Matrosen so die Schiffsbesatzung nennen, die tief unter der Wasserlinie die Kommandos von der Brücke umsetzen musste. Nach rund zwei Stunden an Bord machte sich die Reisegruppe wieder zurück auf den Weg nach Hannover. Natürlich nicht, ohne dass Goldschmidt noch einmal im Hafen den Blick über die Elbe schweifen lassen und ein letztes Mal die Schiffssirenen hören konnte. Die Reise stellt auch für das Team eine Besonderheit dar. „Wir waren noch nie auf einem Schiff“, sagt Meisenburg – und noch nie mit einer solch engagierten Medizinerin als Unterstützung. Seit November 2017 erfüllt der Wünschewagen, ein Ehrenamtsprojekt vom ASB-Landesverband Niedersachsen, die letzten Wünsche von schwerkranken und sterbenden Menschen. „Wunschfahrten“ führen die besonderen Reisenden auf letzte Wunschwege – wenn der gesundheitliche Zustand es erfordert, auch im Rollstuhl oder mit Beatmungsgerät und Magensonde. Denn das Fahrzeug ist ein für die speziellen Bedürfnisse der Fahrgäste konstruierter Krankentransporter. Ausgestattet ist er unter anderem mit notfallmedizinischer Ausstattung, extra weichen Stoßdämpfern, einer Musikanlage und einem harmonischen Arrangement aus Licht und Glas, das die Reise zum Wohlfühl-Erlebnis werden lässt. Das Projekt finanziert sich ausschließlich über Spenden und ASB-Mitgliedsbeiträge und durch das Engagement freiwilliger „Wunscherfüller“ – qualifizierte medizinische Fachkräfte -, die die Fahrten begleiten. Für die Reisenden und ihre Begleitpersonen sind die Fahrten kostenlos. Mehr als 140 Reisen hat das Wünschewagen-Team inzwischen organisieren können. Jüngster Fahrgast war die vierjährige Josie aus Peine, die noch einmal an den Flughafen Hannover wollte. Der älteste Fahrgast, eine 99-jährige Hannoveranerin, hatte den Wunsch, ein letztes Mal ihr Geburtshaus in Marburg zu besichtigen. Weitere Informationen gibt es unter www.wuenschewagen.de im Internet. Lesen Sie dazu auch: Sammelaktion – Hochzeitsgäste spenden 8000 Euro für den ASB-Wünschewagen. Lesen Sie dazu auch: Wünschewagen-Team ermöglicht sterbenskrankem Ali Machkamon den Besuch beim Lieblingspony Flo. Von Antje Bismark