Burgwedel: Corona-Verdachtsfall im Zeugenstand

Der Corona-Krise zum Trotz: Im Amtsgericht hat in dieser Woche noch reger Prozessbetrieb geherrscht. Amtsgerichtsdirektor Michael Siebrecht ließ freilich Vorkehrungen treffen, um die Ansteckungsgefahr für Prozessbeteiligte zu mindern. Gleichwohl erschien ein Corona-Verdachtsfall am Mittwoch als Zeuge vor Gericht. Während seine Richterkollegen im Nachbaramtsgericht in Burgdorf bereits zu Wochenbeginn alle Zivil- und Strafprozesse aussetzten, verhandelte Siebrecht noch weiter. An einem einzigen Vormittag in dieser Woche waren es fünf Hauptverhandlungen in Strafsachen. Vorsorglich hatte Siebrecht die Stühle im Flur vor dem Gerichtssaal, auf denen Angeklagte und Zeugen gewöhnlich warten, bis sie aufgerufen werden, jeweils zwei Meter auseinander stellen lassen. Niemand sollte sich dort zu nah kommen. Richter ahnt nicht, wer vor ihm Platz nimmt: Was der Amtsgerichtsdirektor nicht ahnte, war, dass ein als Corona-Verdachtsfall bekannter Mitarbeiter der Stadt Burgwedel als Zeuge in der letzten öffentlichen Verhandlung des Tages aussagen sollte. „Ich war nicht informiert“, sagt Siebrecht. Die Stadt widerspricht: „Im Vorfeld der Verhandlung hat eine Absprache mit dem Gericht stattgefunden. Das Gericht hat entschieden, die Verhandlung stattfinden zu lassen – unter Einhaltung der derzeitigen Hygieneauflagen.“ In der Verhandlung ging es um die Beleidigung eines Verwaltungsvollzugsbeamten. Der 55 Jahre alte Knöllchenschreiber der Stadt, im Ehrenamt Feuerwehrmann, war nach eigener Darstellung wegen eines Corona-Verdachts bei der Feuerwehr gerade nicht im Dienst. Gleichwohl erschien er zum Prozess. „Der Ordnungsamtsmitarbeiter war zu keiner Zeit in Quarantäne“, teilt die Stadt dazu mit. Kein Publikum im Gerichtssaal: Als verantwortlich handelnder Arbeitgeber habe die Stadt den Mitarbeiter präventiv freigestellt, „weil Kontakt zu einem Verdachtsfall bestanden hat. Nach uns vorliegenden Informationen wurde der Verdachtsfall negativ getestet.“ Publikum fand sich am Mittwochvormittag in dem Gerichtssaal keines ein, obgleich die verhandelten Fälle durchaus Unterhaltungswert hatten. Allerdings hätten auch nur wenige Menschen Platz gefunden an diesem Tag. Richter Siebrecht hatte die Stuhlreihen im Zuschauerraum gründlich lichten lassen, um für Abstand zu sorgen. Ab sofort sind alle Prozesse ausgesetzt: Dass Prozessbeteiligte den Ernst der Lage erkannten, zeigte sich an ihrem Bemühen, sich vor Ansteckung zu schützen. Angeklagte wie geladene Zeugen trugen Atemschutzmasken und Handschuhe. Eine junge Familie mit Kleinkind, die in einem Fall von Nötigung im Straßenverkehr aussagen sollte, erschien mit Desinfektionsmittel gewappnet. Nur weil das Amtsgericht über breite Flure und einen geräumigen Gerichtssaal verfügt, könne er überhaupt noch verhandeln, erläuterte der Amtsgerichtsdirektor im Gespräch mit Staatsanwalt und Protokollführerin in einer Verhandlungspause am Mittwoch. Inzwischen bewertet er die Lage anders. Bis Mitte April werde er nicht mehr öffentlich verhandeln, sagte Siebrecht am Freitag und kündigte „intensivere Maßnahmen“ zum Infektionsschutz im Gerichtsgebäude an. Lesen Sie auch: Richter Michael Siebrecht leitet das Amtsgericht Burgwedel Von Joachim Dege

Burgwedel: Corona-Verdachtsfall im Zeugenstand – Richter ahnt nichts