Burgwedel: Coronavirus trifft Pestalozzi-Werkstätten finanziell hart

Gesellschaft und Wirtschaft kämpfen mit den Auswirkungen der Corona-Krise. Besonders betroffen, allerdings nicht im Fokus öffentlicher Diskussionen sind Einrichtungen wie die Pestalozzi-Stiftung. In deren Werkstätten arbeiten Menschen mit Behinderungen in normalen Zeiten unter pädagogischer Anleitung. Das fällt momentan weg. Wie es weitergeht, ist noch nicht sicher. Denn im Gegensatz zu Schulen und Kitas, deren Abläufe und vor allem auch finanzielle Sicherheit politisch intensiv und ausgiebig thematisiert und diskutiert wurde, gibt es hier noch keine sicheren Lösungen. Land sagt Übernahme von Gehältern mündlich zu: Die Lage ist prekär: Seit Wochen existiert ein Betretungsverbot für Werkstätten wie die der Pestalozzi-Stiftung; dieses gilt vorerst bis zum 6. Mai. Das bedeutet, dass sowohl die 200 in den Werkstätten beschäftigten Menschen mit körperlichen, geistigen und/oder seelischen Einschränkungen genau wie die 65 sie anleitenden pädagogischen Fachkräfte nicht arbeiten dürfen. Bezahlt werden müssen sie aber trotzdem. Und hier tun sich gleich zwei verschiedene Schwierigkeiten finanzieller Art auf. Zum einen sind da die Gehälter der Fachkräfte für die Werkstätten, die pro Monat einen Kostenfaktor im sechsstelligen Bereich darstellen. Die will das Land Niedersachsen jetzt zu 100 Prozent übernehmen. „Eine entlastende Botschaft“ nennt Andrea Sewing, Geschäftsbereichsleitung Behindertenhilfe der Pestalozzi-Stiftung, diese – allerdings noch nicht schriftlich vorliegende – Zusage. „Sonst hätten wir jetzt Zuschüsse nach dem Sozialdienstleister-Einsatzgesetz (SodEG) beantragen müssen.“ Es sei ein zähes Ringen für die Sozialverbände gewesen, sagt die stellvertretende Vorsitzende der Abteilung Region Mitte der Landesarbeitsgemeinschaft Arbeit, Bildung, Teilhabe (LAG ABT) und schaut zurück: „Noch vor einer Woche hieß es, die Verhandlungen sind gescheitert.“ Im Zuge des Coronavirus hatte die Pestalozzi-Stiftung bereits zeitig eine eigene Isolierstation eingerichtet. Diese ist bisher aber gottlob noch nicht zum Einsatz gekommen. „Wir haben weder bei den Mitarbeitern, noch bei unseren Beschäftigten in der Werkstatt noch in den Wohngruppen einen Corona-Fall gehabt. Ich hoffe, dass wir sie überhaupt nicht benötigen“, sagt Andrea Sewing. Mit der präventiven Einrichtung dieser Krankenstation soll sichergestellt werden, dass bei Bedarf Betroffene, gerade aus Wohngruppen, umgehend isoliert und somit Infektionsketten zügig unterbrochen werden können. Wegen der unsicheren Lage hat die Pestalozzi-Stiftung für diese Mitarbeiter Kurzarbeit angemeldet, die ab 11. Mai trotz der Zusage des Landes zur Kostenübernahme in Kraft tritt. Verhandlungen seien gescheitert, sagt Sewing. Im Gegensatz zu dem Konzept, dass für die Schulen erarbeitet worden sei, seien Werkstätten eher am Rande der gesellschaftlichen – und damit auch politischen Wahrnehmung – angesiedelt, sagt sie und versucht so eine Erklärung für diese spät angelaufenen Prozesse. Hier ist auch das zweite Problem angesiedelt, für das es aktuell noch keine Lösung gibt. Die Löhne der Beschäftigten in den Werkstätten erwirtschaftet die Pestalozzi-Stiftung komplett aus dem Gewinn der Aufträge, die sie überwiegend von Wirtschaftsunternehmen bekommen. Statt 800 bis 1000 Essen täglich liefert die Appetit-Werkstatt aktuell gerade einmal 200. „Die Aufträge sind um 50 bis 75 Prozent eingebrochen, wir sind von der Corona-Krise genauso betroffen wie die freie Wirtschaft“, stellt Sewing die Situation dar. „Es wird lange dauern, bis wir wieder auf dem Stand von vor Corona sind.“ Alternative Töpfe, um die Löhne zu sichern, gebe es nicht. Lediglich diejenigen Beschäftigten, die im Geringverdienerbereich lägen, bekämen über die Agentur für Arbeit ein sogenanntes zusätzliches Arbeitsfördergeld. Löhne für Beschäftigte werden aus Rücklagen gezahlt: Bisher werden die Löhne noch in voller Höhe ausgezahlt, aus Rücklagen, die die Stiftung gebildet hat. „Wir stehen gut da, diese Rücklagen reichen auch noch bis September/Oktober, andere Werkstätten können das nicht so lange durchhalten“, sagt Sewing. Trotzdem gelte es bereits jetzt, gerade aufgrund der unsicheren Lage, rechtzeitig über Kürzungen zu reden. „Denn dann reichen die Rücklagen noch länger.“ Sie hoffe aber inständig, dass es bald die Gelegenheit gibt, die Werkstätten wieder zu öffnen und den Betrieb langsam hochzufahren – selbstverständlich auf der Basis eines umfangreichen Sicherheits- und Hygienekonzeptes. „Für unsere Beschäftigten und deren Familien ist die Zeit momentan ungeheuer hart. Die Werkstätten sind seit sechs Wochen zu. Das bedeutet zumindest Langeweile. Es sind Tagesstrukturen und Kontakte weggebrochen, die ganz besonders psychisch Erkrankten Halt geben“, macht Sewing deutlich: „Beschäftigte haben uns schon angesprochen, ob sie überhaupt jemals wieder in die Werkstätten zurückdürfen.“ Je nach Art der persönlichen Einschränkung sei es zum Teil schwierig, ihnen die Notwendigkeit der aktuellen Maßnahmen zu erklären. Das tägliche HAZ Corona-Update als Newsletter Alle News zum Coronavirus in Hannover täglich gegen 6 Uhr im E-Mail-Postfach. Lesen Sie auch: Pestalozzi-Stiftung stemmt sich gegen die Corona-Krise Pestalozzi-Seminar: Erzieher-Abschlüsse sind nicht in Gefahr Vomfeinsten versorgt das Schulzentrum mit Essen Von Sandra Köhler