Gehrden: Archäologen legen auf Marktplatz Jahrhunderte alten Brunnen frei

Schon seit einigen Wochen wird auf dem Gehrdener Marktplatz gearbeitet. Bei der Innenstadtsanierung ist inzwischen der fünfte Bauabschnitt erreicht. Unter anderem wurden und werden neue Wasserleitungen zwischen der Hornstraße und Alten Straße verlegt, Abwasseranschlüsse erneuert, und Straßen- und Tiefbauarbeiten stehen an. Immer mit dabei, wenn in Gehrden gebuddelt wird, sind die Archäologen der Region. Und wie schon bei vorangegangenen Sanierungs- und Bauprojekten haben diese Spuren früherer Generationen entdeckt und freigelegt: im aktuellen Fall einen Jahrhunderte alten Sandsteinbrunnen. Der Brunnen sei vor dem Ratskeller in einer Kanaltrasse in 1,5 Metern Tiefe gefunden worden, berichtet die Kommunalarchäologin Ute Bartelt. Er sei aus bogenförmigen Segmenten aufgebaut, habe einen Durchmesser von 1,5 Metern und sei etwa zur Hälfte erfasst. „Der Rest liegt außerhalb der Kanaltrasse.“ Auch eine zweiteilige hölzerne Wasserleitung sei gefunden worden. Diese verlaufe in Nord-Süd-Richtung und bestehe aus einem Unterteil sowie einem passenden Deckel. Wie alt das Bauwerk ist, ließe sich derzeit noch nicht genau sagen. Der Brunnen könne nur allgemein in die ausgehende frühe Neuzeit oder Neuzeit datiert werden, so Bartelt, auf das 17. bis 19. Jahrhundert. Um die hölzerne Wasserleitung zeitlich genauer einordnen zu können, müsse die dendrochronologische Analyse abgewartet werden, also das für den Brunnen verwendete Holz mit den Jahresringe so untersucht sein, dass es einer Wachstumszeit zugeordnet werden kann. Die Proben dafür wurden bereits entnommen, genauer gesagt: aus der Leitung herausgesägt. In dem Begriff Dendrochronologie stecken das griechische Wort Dendro (deutsch: Baum) und der Fachterminus beschreibt eine wissenschaftliche Methode zur jahrgenauen Datierung von Hölzern mittels der Jahresringe. „Klimatische Änderungen beeinflussen das Wachstum und somit die Dicke der Jahrringe“, erklärt die Regionalarchäologin Ute Bartelt. Deshalb wiesen zeitgleich gewachsene Bäume einer Art auch so große Ähnlichkeit in ihrem Jahrringmuster auf, dass sie auf das Jahr genau einander zugeordnet werden können. Wenn der äußerste Jahresring eines Baumes, die sogenannte Waldkante, im Fund mit erfasst ist, so Bartelt, kann das Datum der Baumfällung auch nach über 1000 Jahren noch auf ein Jahr genau bestimmt werden. Dank einer Vielzahl genau zu bestimmender bauhistorischer und archäologischer Hölzern konnte mittlerweile eine weit in die Vergangenheit zurückreichende Vergleichsreihe der Jahrringmuster aufgebaut werden. Da der Sandsteinbrunnen durch die geplante Baumaßnahme auf dem Marktplatz in seinem Bestand nicht gefährdet sei, verbleibe er ebenso wie die Wasserleitung im Boden, erklärt die Archäologin. Noch weiter gegraben, um in frühere Zeitschichten vorzudringen, werde nicht. „Wir graben nur so tief, wie es für die jeweiligen Baumaßnahmen notwendig ist“, so Bartelt. „Alles was darunter liegt, wird abgedeckt und bleibt erhalten.“ Bevor die freigelegten Funde mit der Baugrube zugeschüttet wurden, wurden sie genau vermessen, fotografiert, gezeichnet und beschrieben. Herausgeholt wurden lediglich wenige Keramikscheiben, so Bartelt. Bei diesen handele es sich unter anderem um sogenannte Werra-Weser-Ware und Steinzeug, die wie der Brunnen aus der frühen Neuzeit oder Neuzeit stammen. Bartelt: Im Boden schlummert archäologisches Potenzial: „Die Funde verdeutlichen wieder einmal das archäologische Potenzial, das noch im Boden schlummert“, erklärt die Regionsarchäologin. „Wie bei einem Puzzle gibt es bei der Rekonstruktion menschlichen Lebens in vergangenen Zeiten keine unwichtigen Teile.“ Die aktuellen Funde seien ein weiteres Puzzleteil der Geschichte Gehrdens und würden nun ausgewertet. Seit 2008 ist Bartelt für die Untere Denkmalschutzbehörde tätig und seit acht Jahren begleitet sie die Grabungen in Gehrden, wie die auf dem Gelände des ehemaligen Rewe-Marktes und Garbe-Hofes und östlich der Margarethenkirche. Dort wurden 2016 unter anderem mehrere Brunnen aus dem zwölften Jahrhundert freigelegt. Die Untersuchung der Brunnenhölzer ergab damals, dass Baumholz verwendet wurde, das 1136, 1137 und 1143 gefällt wurde. Die im Februar begonnen Baumaßnahmen auf dem Marktplatz sollen nach Angaben der Stadt Gehrden voraussichtlich im Oktober 2020 abgeschlossen sein und werden bis dahin von der Kommunalarchäologie begleitet. Nach Abschluss der Grabungen würden Funde und Dokumentationen analysiert und die Auswertungen dann veröffentlicht. Lesen Sie auch: Sanierung des Marktplatzes beginnt schon im Februar Marktplatzgestaltung: Kirche hat Einwände Wie haben die Menschen im zwölften Jahrhundert in Gehrden gelebt? Von Astrid Köhler