Fünf Jahre im Amt: Bürgermeister Jürgen Köhne im Interview

Sie sind seit fünf Jahren Bürgermeister, die Amtszeit endet 2021. Waren es fünf gute Jahre für Laatzen? Insgesamt glaube ich das schon. Dazu gehört, dass wir die Herausforderungen der Flüchtlingskrise gut gelöst haben. Und wir nutzen die Niedrigzinsphase für das große Thema Infrastruktur, bei dem es sehr viel nachzuholen gibt: von den Kindergärten über die Grundschulen bis zum Rathaus. Dabei holen wir vieles nach, was im Laufe der letzten 30 Jahre vernachlässigt wurde. Den Sanierungsstau haben Sie schon bei Ihrem Amtsantritt beklagt. Inzwischen sind fünf Jahre vergangen – und noch immer müssen acht von neun Schulen saniert werden. Hätte nicht mehr passieren müssen? Nein, denn wir haben mit den Dingen angefangen. Als ich begonnen habe, hieß es noch, die Bevölkerungszahl würde sinken. Beim Erich-Kästner-Schulzentrum planen wir mittlerweile eine Erweiterung für 350 Schüler. Dann haben Flüchtlinge eine Priorität bekommen, die sie vorher nicht hatten. Die Kitas, die beiden großen Schulen und der Brand der AES-Sporthalle haben viele Kapazitäten gebunden. Ich glaube aber, wir sind auf einem guten Weg: Wir haben mittlerweile außer in Grasdorf und Gleidingen für alle Schulen konkrete Planungen – und auch für diese beiden gibt es erste Aktivitäten. Bis 2023 wollen Sie 168 Millionen Euro verbauen. Ist der Zeitplan überhaupt realistisch? Ich hoffe schon: Die 2023 steht – insbesondere mit Blick auf die Schülerzahlen, die in den Schulen wachsen werden. Aber wir schaffen es sicherlich nicht, alles selbst vorzubereiten. Bei der Feuerwehr und der Unterkunft in Rethen hatten wir deshalb einen Generalunternehmer, auch das EKS wird aus einer Hand geplant und umgesetzt: Das muss das Mittel der Wahl sein, denn auch bestehende Gebäude werden ja laufend betreut. Warum steigen die Baukosten? Viele Gebäude werden teurer – allen voran das Erich-Kästner-Schulzentrum (EKS), das jetzt 68,7 statt 45 Millionen Euro kosten soll. Woran liegt es, dass die Kosten so aus dem Ruder laufen? Beim EKS wird die Krux längerer Planungsprozesse deutlich – in einer Zeit, in der die Preise im Bausektor jährlich 10 bis 12 Prozent steigen. Wir sind 2015 in die Planung eingestiegen, bis zur Fertigstellung werden acht Jahre vergangen sein. Bei der neuen Summe sind jetzt außerdem die Einrichtungskosten mit enthalten. Die gleichen Probleme haben auch private Bauträger, nur bei denen wird so etwas nicht bekannt. Es fällt auf, dass Gebäude aus den Siebziger- und Achtzigerjahren abrissreif sind, während ältere Bauten scheinbar mühelos 100 Jahre alt werden. Ich werde darauf laufend angesprochen – zu Recht. Hier kumulieren sehr viele Herausforderungen gleichzeitig: Unsere Schulgebäude zum Beispiel sind nicht auf Inklusion vorbereitet, sie sind zu klein. Beim EKS kommt das Thema G9 hinzu. Und dann haben wir die Schadstoffproblematik der Siebzigerjahre: Wenn Sie Gebäude in Laatzen-Mitte anfassen, werden Sie eigentlich immer fündig. Für das Rathaus wurde ein Architektenwettbewerb ausgelobt. Schon jetzt steht fest, dass die Polizei dort nicht unterkommen wird, obwohl viele die Nähe zum Stadtzentrum schätzen. Wäre es das nicht wert gewesen? Wir waren mit der Polizei von Anfang an im Gespräch und übereingekommen: Wenn es eine andere Lösung geben kann, werden wir ohne sie planen. Das tun wir, weil die Anforderungen der Polizei sehr speziell sind. Wir hatten ursprünglich an einen Anbau gedacht, hätten dann aber wieder ein sehr hohes Gebäude bekommen. Zentraler Platz für die Polizei ist wichtig: Wie wollen sie sicherstellen, dass die Polizei im Zentrum etwas findet? Das können wir nicht sicherstellen. Aber ich bin zuversichtlich, dass das funktioniert. Wir wissen, wie wichtig die Polizei an einem zentralen Platz in Laatzen ist und wie viel sie für das Sicherheitsgefühl der Menschen bedeutet. Alle reden über die Klimakrise. Die rot-rot-grüne Ratsmehrheit hat beschlossen, Klimaschutz die höchste Priorität zu geben. Stehen sie dahinter? Ich hätte mir einen breiteren Konsens bei den Vorstellungen im Vorfeld gewünscht und habe eingefordert, dass wir als Verwaltung nachvollziehbare Arbeitsaufträge bekommen. Ich glaube, dass sich Laatzen sehr früh mit dem Thema Klimaschutz auf den Weg gemacht hat. Neue Bauwerke werden unter diesem Aspekt regelmäßig geplant. Wir haben Stromausschreibungen mit Nachhaltigkeit verknüpft, auch der Klimaschutzmanager ist sehr aktiv. Bei der Verkehrsentwicklung würde ich mir allerdings einen mehr planerischen Ansatz wünschen: Wir machen aus dieser autogerechten Stadt nicht mal eben so einen Musterknaben der Mobilität. Wie wollen Sie denn einen solchen Umbau der Mobilität konkret angehen? Ich glaube, dass wir mit der Politik verhandeln müssen, an welchen Stellen wir anfangen. Ein Thema wird der Radverkehr sein, der durch die an der Wülferoder Straße geschaffenen Fakten stärker ins Bewusstsein gelangt ist. Veränderungen bedeuten auch Verhaltensveränderungen, die bei einem ausgeprägten Beharrungsvermögen von Menschen ziemlich schwierig sind. Die Umwelt ist dabei nicht die einzige Betrachtungsebene: Man muss das Thema inklusive Stadt mindestens genauso mitdenken. Bedeutet das auch Einschränkungen für den Autoverkehr? Mit rigiden Maßnahmen wird das nicht zu machen sein. Man muss die Menschen mitnehmen – auch diejenigen, die damit groß geworden sind, dass das Auto ihr Verkehrsmittel Nummer 1 ist. Wir werden deshalb Angebote machen müssen. Der ÖPNV ist ein Mittel der Wahl dazu: An den Linien 1 und 2 werden sich noch einige Dinge verbessern, hinzu kommt der S-Bahn-Halt und die Anbindung der Linie 6, die forciert wird. Auch beim Thema Radwege müssen wir neu denken. Es ist unheimlich schwierig, Projekte wie Radschnellwege in unserer Stadt umzusetzen, weil es Einschränkungen in anderen Bereichen bedeutet. Aber wenn wir feststellen, dass wir keine Angst haben müssen, nicht mehr von A nach B zu kommen, wird das auf fruchtbaren Boden fallen. „Ich befürchte, dass meine CO2-Bilanz nicht gut ist“: Haben Sie eigentlich mal Ihre persönliche CO2-Bilanz ausgerechnet? Ich gestehe, dass ich beim Fest der Sinne mal einen Fragebogen bekommen, ihn aber nicht komplett ausgefüllt habe. Ich befürchte, dass meine CO2-Bilanz nicht gut ist, weil ich jeden Tag mindestens 50 Kilometer mit dem Auto fahre. Meine letzten beiden Flug-Kurzurlaube in den letzten fünf Jahren gingen nach Wien und Stockholm. Ansonsten sind meine Frau und ich sehr zurückhaltend. Ich glaube, dass wir als Gesellschaft auf einem Niveau leben, das deutlich zurückgefahren werden könnte. Zu Beginn Ihrer Amtszeit gab es viel Eintracht im Rat. Inzwischen scheinen die Fraktionen wieder zerstrittener, was vor allem bei den Themen Klima und Verkehr deutlich wurde. Woher rührt die Uneinigkeit? Ich behaupte, dass im politischen Agieren hier in Laatzen keine wirkliche Uneinigkeit herrscht. Aber bei den dicken Brettern, die vor uns liegen, ist es normal, dass man sich nicht immer 100-prozentig einig ist. Immerhin wurden Sie auch schon selbst überstimmt – etwa beim Café Marie, das seit dem Streit mit der AWO nicht mehr betrieben wird. Damals stellte sich neben den Grünen sogar die CDU gegen einen Kompromiss mit der AWO. Das hat viel mit persönlichem Handeln, aber auch mit politischen Zielsetzungen zu tun. Es ist uns in den fünf Jahren gelungen, sehr viel Konsens herzustellen – es gibt aber auch Punkte, wo ich mir die eine oder andere einvernehmliche Entscheidung gewünscht hätte. Das ist der Tatsache geschuldet, dass ich keine eigene Bürgermeister-Hausmacht habe. Ich kann nicht reingehen und sagen: Ich möchte das so machen. Das geht mittlerweile fast der Mehrheit der Bürgermeister der Region so. Ich glaube, das wird ein Modell für die Zukunft werden: Je mehr Zersplitterung es gibt, desto normaler wird es, dass Bürgermeister keine eigene Mehrheit haben. Bekommen Sie eigentlich selbst viel Gegenwind von Bürgern? Was Generalien betrifft, sehr selten. Natürlich gibt es unterschiedliche Auffassungen über einzelne Maßnahmen. Das ist Teil meiner Aufgabe, das aufzunehmen. Ganz grundsätzlich erfahre ich eher, dass durchaus registriert wird, dass in dieser Stadt ganz viel passiert und wir Dinge aufgreifen, die dringend auch aufgegriffen werden müssen. Politiker und Amtsträger klagen zunehmend über Anfeindungen und Drohungen. Machen Sie und ihre Mitarbeiter auch solche Erfahrungen? Ich persönlich nicht. Unsere Mitarbeiter erleben es, dass sie angegangen werden und vielleicht auch ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis haben - so ähnlich wie es in großen Teilen unserer Gesellschaft ist: Viele fühlen sich latent unsicher. „Es gibt keine 100-prozentige Sicherheit“: Im Rathaus wurde zuletzt mehrfach Feuer gelegt, ohne das die Täter ermittelt wurden. Wie gehen die Mitarbeiter damit um? Natürlich ist das in den Köpfen und eine schwierige Situation, wenn man solche Vorfälle hatte, ohne dass sie aufgeklärt werden konnten. Wir versuchen, unsere Mitarbeiter so gut es geht zu schützen und haben etwa die Zugänglichkeit zu den Fluren und Kellerräumen nachgearbeitet. Aber es gibt in dieser Welt keine 100-prozentige Sicherheit. Ihre Amtszeit endet im Oktober 2021. Werden Sie für eine zweite kandidieren? Das kann ich im Moment schlecht einschätzen. Die fünf Jahre haben bis hierher viel Kraft gekostet. Ich werde fast 65 sein, wenn die Wahlperiode abgelaufen ist – und ich merke inzwischen, was der Begriff Älterwerden bedeutet. Auf der anderen Seite stehen die vielen Projekte, die wir angeschoben haben, die wir bis Ende 2021 nicht werden beenden können. Und eine gewisse Zufriedenheit mit dem, was ich hier tue. Wann werden Sie sich entscheiden? Schließlich muss sich auch Ihre Partei darauf einstellen. Das muss ich mit meiner Partei besprechen. Aber bisher ist das kein sehr intensives Thema gewesen. Lesen Sie auch: Köhne im Interview: "Fehler wären nicht gestattet gewesen" EKS-Neubau verteuert sich auf 69 Millionen Euro und wird später fertig Rat beschließt umstrittenen Verkehrsentwicklungsplan So soll Laatzens Zentrum aufgewertet werden Von Johannes Dorndorf

Laatzen: Fünf Jahre im Amt - Interview mit Bürgermeister Jürgen Köhne