Laatzen: Interview mit Klinik-Chefarzt Jan Rudolf Ortlepp zur Corona-Lage

Obwohl das Klinikum Agnes Karll in Laatzen im Vergleich zum Frühjahr 2020 deutlich mehr Corona-Patienten behandelt, sterben prozentual immer weniger an den Folgen der Viruserkrankung. Prof. Jan Rudolf Ortlepp, Ärztlicher Direktor am AKK, erläutert im Interview, warum es jetzt bessere Behandlungsmöglichkeiten gibt – und wie sich das Krankenhaus für die nähere Zukunft gewappnet hat. Herr Ortlepp, ist die zweite Welle schlimmer, als Sie befürchtet haben? Ich hatte gehofft, dass sie nicht so schlimm wird. Wir haben jetzt dreimal so viele mit Sars-CoV-2-infizierte Patienten wie im Frühjahr 2020. Bis März 2020 hatten wir insgesamt rund 50 Patienten aufgenommen, bis heute sind es insgesamt mehr als 200. Wie haben Sie sich auf die steigenden Infektionszahlen vorbereitet? Unser System aus dem Frühjahr hat sich bewährt. Vor Beginn der zweiten Welle haben wir noch nachgebessert und unsere Gesamtkapazität für Covid-19-Patienten erhöht. Außerdem hat das THW Anfang April vor dem Krankenhaus ein Zelt aufgebaut. Es dient als Sicherheit für den Fall, dass es doch noch zu einem starken Anstieg der Infektionszahlen kommen sollte. In dem beheizbaren Zelt kann die Erstsichtung und Erstversorgung von Covid-19-Patienten mit Sauerstoff stattfinden. Bislang haben wir es aber noch nicht gebraucht, und wir hoffen, dass das so bleibt. Gibt es genügend Intensivplätze mit Sauerstoffgeräten? Bislang konnten wir zu jeder Zeit Patienten so behandeln, wie es notwendig war. Mir ist aus keinem deutschen Krankenhaus bekannt, dass Menschen mit Covid-19 keinen Beatmungsplatz bekommen haben, obwohl es einen medizinischen Grund dafür gegeben hätte, wie es jetzt in Brasiliens Amazonas-Metropole Manaus geschehen ist. Wie viele Covid-19 Patienten behandeln Sie zurzeit im Klinikum Agnes Karll? In den vergangenen Wochen haben wir im Schnitt zwischen zehn und 20 Patienten stationär behandelt, davon drei bis fünf auf der Intensivstation. Im Mai 2020 war das Klinikum in Laatzen dasjenige von den sieben Krankenhäusern des Klinikums Region Hannover, das die meisten Corona-Patienten aufgenommen hatte. Ist das noch immer so? Nein, die Zuweisung ist jetzt anders, sodass sich die mit Sars-CoV-2-infizierten Patienten relativ gleichmäßig auf alle Krankenhäuser in der Region verteilen. Dabei ist es ein großer Vorteil, dass es so viele Krankenhäuser gibt. Prof. Jan Rudolf Ortlepp ist seit 1. Januar 2021 Ärztlicher Direktor des Klinikums Agnes Karll. Zusätzlich ist er weiterhin Chefarzt der Klinik für Innere Medizin, Leiter der Notaufnahme sowie Corona-Beauftragter des Krankenhauses. An das Klinikum Agnes Karll wechselte der Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie, Intensiv- und Notfallmedizin im April 2018. Zuvor war Ortlepp Chefarzt der Klinik für Innere Medizin und lntensivmedizin an den Asklepios Kliniken Seesen, wo er ebenfalls Ärztlicher Direktor war. Zuvor hatte Ortlepp in Kliniken in Hameln, Bad Pyrmont und Göttingen gearbeitet. Sein praktisches Jahr verbrachte er zum großen Teil an Krankenhäusern in den USA – unter anderem auch am Beth Israel Hospital der Havard Medical School. Seine breit gefächerte Facharztausbildung absolvierte Ortlepp in allen medizinischen Kliniken des Universitätsklinikums Aachen. Haben Sie das Virus jetzt besser im Griff als zu Beginn der Pandemie? Die Sterblichkeit bei der zweiten Welle ist prozentual geringer als bei der ersten. Das liegt daran, dass Patienten jetzt in der Regel eher ins Krankenhaus kommen und nicht erst, wenn sie schon massive Atemprobleme haben. Daher können wir ihnen auch besser helfen. Außerdem können wir jetzt auch die Medikamente Remdesivir und Dexamethason zur Behandlung einsetzen, die uns bei der ersten Welle noch nicht zur Verfügung standen. Durchschnittlich sind Corona-Patienten jetzt eine Woche bei uns im Krankenhaus, im Frühjahr waren es zwei Wochen. „Es gibt immer noch schwere Verläufe, auch bei Jüngeren“: Sterben immer noch vor allem ältere Menschen an Covid-19? Der Altersdurchschnitt der Patienten ist vom März, wo er bei Mitte 80 lag, um sechs bis zehn Jahre gesunken. Dennoch gibt es immer noch schwere Verläufe, vereinzelt auch bei jüngeren Patienten. Wie groß ist die Belastung für das Personal? Die Behandlung der Covid-19-Patienten ist eine permanente Belastung für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Es ist ein enormer Stress, jeden Tag in der Schutzausrüstung zu arbeiten und aufzupassen, dass man sich nicht ansteckt. Daher würde ich mir auch mehr öffentliche Anerkennung für die Arbeit der Krankenhausmitarbeiter wünschen. Sind denn mittlerweile alle Mitarbeiter gegen Corona geimpft? Ein Großteil der Impfberechtigten hat die erste Dosis erhalten. Die zweite soll demnächst folgen. „Masken helfen auch gegen die Mutationen“: Haben Sie Angst vor der Ausbreitung der Mutationen des Coronavirus? Tatsächlich konnten wir die britische Mutante im Klinikum schon nachweisen. Es wäre auch illusorisch gewesen, anzunehmen, dass sie hier nicht ankommen würde. Positiv ist, dass FFP2-Masken und die gängigen Hygienemaßnahmen auch gegen die Mutationen helfen. Was wünschen Sie sich von der Bundesregierung? Eine verlässliche Krankenhausplanung und Finanzierung. Denn eine nächste Pandemie kommt bestimmt. Und von den Bürgerinnen und Bürgern? Die Geduld, sich weiterhin an das Hygienekonzept zu halten. Eine gute Disziplin hilft uns allen, von den hohen Zahlen runterzukommen. Von Stephanie Zerm