Erste Urlauber starten vom Flughafen-Hannover nach Mallorca

Zweifel? Der 51-jährige Jörg blickt über seine Mund-Nasen-Maske, als würde er die Frage nicht verstehen. Warum sollte er zweifeln an seiner Idee, spontan ein paar Tage Urlaub auf Mallorca zu machen? „Das ist doch nicht verboten“, gibt er selber die Antwort. Eigentlich wäre er um diese Jahreszeit gerne mit seiner Frau nach Florida geflogen – doch das sei nicht möglich und als die Bundesregierung Anfang März die Reisewarnung für die Baleareninsel aufhob, da habe er spontan einen Platz in einer der ersten Maschinen von Hannover gebucht. Am Sonntagvormittag war es dann so weit: Vom Flughafen Hannover starteten die ersten beiden Tui-Flieger in Richtung Mallorca. Doch Raum für Zweifel gibt es bei diesen Urlauben durchaus, denn die spontanen Trips sind umstritten: Für die Reisenden und die Mitarbeiter der Reise-Unternehmen und des Flughafens sind sie ein kleiner, aber hoch willkommener Start in (hoffentlich) bessere Zeiten nach dem langen Corona-Winterschlaf. Kritiker fürchten dagegen, dass die Urlauber die Baleareninsel zu einer neuen Drehscheibe für die Ausbreitung des Coronavirus machen könnten, so wie es der Skiort Ischgl vor einem Jahr war. Ministerpräsident Weil kritisiert Bundesregierung: „ Die Aufhebung der Reisewarnung für Mallorca durch die Bundesregierung war ein schwerer Fehler“, sagte Weil dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), zu dem auch die HAZ gehört. „Das Beste wäre es, die Bundesregierung würde ihre Entscheidung revidieren.“ Wenn sie dazu nicht bereit sei, müsse über eine strenge und mehrfache Testpflicht bei der Wiedereinreise oder eine Quarantänezeit gesprochen werden, verlangte der SPD-Politiker. Tui und andere Reiseunternehmen haben das Urlaubsgeschäft mit Mallorca wieder aufgenommen, nachdem Anfang März die Reisewarnung für die Baleareninsel aufgehoben worden war. Weil auf Mallorca derzeit eine Inzidenz um die 20 herrscht, müssen Reisende sich nach Rückkehr nicht in Quarantäne begeben. Auch Tourismusvertreter hatten die Freigabe kritisiert, da zeitgleich Hotelübernachtungen und Reisen innerhalb Niedersachsens weiterhin nicht erlaubt sind – auch nicht im Landkreis Goslar, der ebenfalls eine Inzidenz von 20 aufweist, oder in der Stadt Emden, die bei einer Inzidenz von 28 liegt. Nur wenige Hotels auf Mallorca geöffnet: Tui-Sprecher Aage Dünhaupt hält Forderungen wie die von Ministerpräsident Weil für überzogen: Das sei kein Ballermann-Publikum, das jetzt auf die Insel fliege. Restaurants müssten früh schließen, abends sei Sperrstunde, zudem seien nur rund 10 Prozent der Hotels auf der Insel überhaupt geöffnet. Und wer jetzt fliege, werde damit nicht unvorsichtig: „Die Menschen verhalten sich auf der Insel genauso wie zu Hause.“ Das bestätigt auch Gaby (69), die ihre Kinder zum Flughafen gebracht hat und ein bisschen bedauert, dass sie selber nicht mitfliegen kann. Angst um ihre Lieben habe sie nicht. Schließlich müsse jeder Reisende vor Abflug einen Corona-Test machen und auf Mallorca sei die Chance, sich mit dem Virus anzustecken, geringer als in Deutschland. „Das alles macht mir keine Sorgen. Sorgen machen mir die Menschen, die meinen, dass sie keine Maske tragen müssen.“ Kein selbstverständlicher Urlaub: Solche sind am Vormittag am Flughafen nicht anzutreffen, jeder hier hält sich an die Maskenpflicht. Es ist ein bunt gemischtes Publikum: Pärchen mit Wanderrucksäcken, Familien mit kleinen Kindern und auch Menschen im Rentenalter stehen vor den Schaltern. Sie alle wollen natürlich mitfliegen, aber es gibt auch Stimmen, die einräumen, dass der Urlaub für sie keinesfalls etwas selbstverständliches ist. Sie hätten schon überlegt, ob das eine gute Idee sei, sagen Maike (35) und Hilka (29). „Aber die Freude über den Urlaub überwiegt“, sagt Hilka. Ihre vollständigen Namen möchten die beiden nicht nennen, auch aus Angst vor Konflikten. „Bei mir wissen gar nicht alle, dass ich wegfliege. Ich weiß nicht, wie die reagieren würden“, sagt Maike. Ein Mann in den Fünfzigern möchte gar nicht erst mit den Medien reden. „Ich habe eine Arztpraxis“, winkt er ab. Passagierzahlen in Corona-Krise eingebrochen: Nicht nur für die Reisenden, auch für den Flughafen ist der Start in die Mallorca-Flüge ein kleines Erwachen aus dem Corona-Winterschlaf. Um 95 Prozent ist das Passagiergeschäft in der Pandemie eingebrochen. Normalerweise fertige der Flughafen in Langenhagen in den Osterwochen bis zu 20.000 Passagiere pro Tag ab, sagt Sprecher Sönke Jakobsen. Doch selbst mit den beiden Mallorca-Maschinen stehen an diesem Sonntag nur acht Flüge auf dem Plan, die meisten davon Linienflüge und kleinere Maschinen – insgesamt nur „eine niedrige vierstellige Zahl“ von Fluggästen. Und auch mit den knapp hundert Flügen, die Tui und Eurowings in den nächsten Wochen von Hannover Richtung Mallorca starten lassen wollen, werde man nicht annähernd an das normale Flugaufkommen heranreichen, so Jakobsen. Tui setzt auf regelmäßige Corona-Tests: Iris Jürgensmann freut sich auf den ersten Mallorca-Flug von Hannover, „natürlich tue ich das“. Sie ist die Kabinenchefin, seit 31 Jahren über den Wolken aktiv. Das vergangene Jahr, seit dem ersten Lockdown am 15. März 2020, sei für das Team eine Achterbahnfahrt gewesen – mal wurde alles gestoppt, dann ging es wieder los, erzählt sie. Auch vor den Mallorca-Flügen gab es Reisen mit der Tui, unter anderem flog das Unternehmen die Kanareninsel Fuerteventura an oder sammelte Gäste für Kreuzfahrten ein. Mit regelmäßigen Tests verhindere man, dass das Coronavirus diesen Reiseplänen einen Strich durch die Rechnung mache, sagt Tui-Sprecher Dünhaupt. So habe man in den vergangenen Monaten 200.000 Passagiere auf Kreuzfahrtschiffen beherbergt, „und die Zahl der positiven Fälle lassen sich an zwei Händen abzählen.“ Das konsequente Testen soll auch bei den Mallorca-Reisenden der Schlüssel sein. Für Jürgensmann nichts Neues: „Wir sind es gewohnt, Richtlinien zu beachten und nun beachten wir die Corona-Richtlinien. Die sind umsetzbar.“ Gut zwei Stunden dauert ihr Flug nach Mallorca an diesem Morgen. Auf dem Rückweg wird sie mit ihrem Team im Flieger alleine sein, denn Rückkehrer von der Insel gibt es ja noch nicht. Dafür warten in Hannover aber schon wieder die nächsten Reisewilligen. Von Heiko Randermann