THW Hannover Langenhagen: Ein Interview mit den Verantwortlichen

Was macht eigentlich das Technische Hilfswerk? Wie hat sich der Wegfall der Wehrpflicht auf die Mitgliederzahlen ausgewirkt? Wie steht es um den Nachwuchs? HAZ-Redakteurin Julia Gödde-Polley hat sich im Interview mit den Verantwortlichen des THW Hannover/Langenhagen die Aufgaben erklären lassen. Herr Großheide, Herr Graser, wie fühlt man sich als kleine Stiefschwester der Feuerwehr? Tobias Großheide: Die Leute, die zum THW kommen, kommen hierher, weil sie eine andere Aufgabe erwarten. Die Feuerwehren sind eher die Sprinter, die Aufgaben schnell erfüllen. Wir sind eher die Ausdauerläufer, die auch über mehrere Wochen in Einsätze gehen. Damit muss man sich abfinden. Das machen wir den Anwärtern aber auch deutlich. Was kann denn das THW, was die Feuerwehr nicht kann? Tobias Großheide: Das Thema Bergung aus eingestürzten Häusern – das kann die Feuerwehr nur bedingt. Die halten beispielsweise Material zum Abstützen nicht im großen Umfang vor. Teilweise werden unsere Baufachberater bei Einsätzen von der Feuerwehr angefordert. Außerdem haben wir spezielle Einsatzstellensicherungssysteme, beispielsweise Laser-Scanner, und können größere Lasten bewegen. Pierre Graser: Wir haben in großen Teilen andere Technik für größere und andere Einsätze. Gibt es denn Konkurrenz zwischen Feuerwehr und THW? Tobias Großheide: Nein. Wir pflegen ein gutes Verhältnis zu den Feuerwehren in Langenhagen und Hannover und können uns kameradschaftlich gut unterstützen. Pierre Graser: Wir arbeiten bei gemeinsamen Ausbildungen und Übungen gut zusammen. Bei großen Übungen der Feuerwehr, wie zum Beispiel der Stadtfeuerwehrübung 2019, unterstützen wir gerne auch mal logistisch. Es gibt kein Konkurrenzdenken. Wer dem Bürger in Not hilft, ob er einen blauen vom THW oder einen Feuerwehranzug an hat, ist am Ende egal. Lesen Sie auch: Sirenenalarm: Feuerwehren üben Ernstfall im Hallenfreibad Godshorn Was macht das Technische Hilfswerk überhaupt – außer Sandsäcke schleppen? (beide lachen) Tobias Großheide: Eigentlich sind wir die Zivil- und Katastrophenschutzbehörde des Bundes. In erster Linie wurde das THW einmal gegründet, um den Zivilschutz im Verteidigungsfall sicher zu stellen und die Bergung von Menschen zum Beispiel nach Gebäudeeinstürzen zu übernehmen. Heute helfen wir nicht nur im Katastrophenfall. Auf Anforderung unterstützen wir die Feuerwehren bei der örtlichen Gefahrenabwehr. Im Rahmen der Amtshilfe unterstützen wir auch die Bundes- und Landespolizei sowie den Zoll. Das heißt konkret: Bei welchen Notfällen etwa waren Sie aktiv? Pierre Graser: Die Einsatzlagen sind vielfältig: Hochwasserbekämpfung, Löschwasserförderung wie beispielsweise beim Moorbrand in Meppen (Anmerkung der Redaktion: Das war 2018), Notstromversorgung bei Stromausfall in größeren Gebäuden, Bergung von Verschütteten, Versorgung von Einsatzkräften, Licht- und Stromversorgung bei größeren Einsätzen und Veranstaltungen. Aber wir haben beispielsweise auch bei der Schaffung von Notunterkünften für Flüchtlinge in Langenhagen unterstützt und die Sanitäranlagen ausgebaut. Zudem waren wir bei kurzfristigen Evakuierungen für Bombenräumungen im Einsatz oder haben technische Unterstützung für den Kampfmittelbeseitigungsdienst geleistet. Lesen Sie auch: THW hilft Bundeswehr in Meppen beim Löschen Das THW ist modular aufgebaut. In der Region gibt es unterschiedliche Fachgruppen, die ausrücken. Im Ortsverband Hannover/Langenhagen sind wir auf die Versorgung von Einsatzkräften, das Pumpen von Schmutzwasser (Hochwasserbekämpfung) und Ortung spezialisiert. Doch egal wo wir sind: THW-Spezialisten sind alle einheitlich ausgebildet und verfügen über eine identische Ausstattung. Dadurch ist bei Großeinsätzen, die über längere Zeit dauern, ohne Weiteres eine Ablösung beziehungsweise ein Austausch der Einsatzkräfte möglich. Inwiefern sind Sie auch in der Corona-Krise eingespannt? Pierre Graser: Wir reagieren, wenn es gefordert wird. So hat uns Ende März auch der erste Einsatz im Rahmen der Corona-Pandemie gefordert. Einsatzkräfte unseres Ortsverbandes bauten die räumliche Erweiterung der Notaufnahme für das Henriettenstift. Die Einsatzkräfte der Bergungsgruppen und der Fachgruppe N (Notversorgung und Notinstandsetzung) bauten neun Zelte auf, errichteten die wetterfesten Verbindungsgänge zwischen den Zelten und dem Gebäude, richteten Zuwegungen und einiges andere her. Die Spezialisten der Fachgruppe Elektroversorgung übernahmen die gesamte Elektroinstallation der erweiterten Notaufnahme. An dem Einsatz beteiligt waren insgesamt mehr als 80 Einsatzkräfte unseres Ortsverbandes. Sie leisteten für Planung, Materialbeschaffung und den Aufbau am Wochenende mehr als 1000 Stunden. Wie gut das Netzwerk in Langenhagen gerade in diesen Situationen funktioniert, zeigt auch, dass uns die Freiwillige Feuerwehr Engelbostel kurzfristig bei der Befüllung unserer übergroßen Wasserbehälter unterstützte. Lesen Sie auch: Vorbereitung auf Corona-Welle: THW baut am Henriettenstift provisorische zweite Notaufnahme Wann helfen Sie? Können Menschen in Notfällen Sie einfach anrufen? Tobias Großheide: Es darf natürlich jeder anrufen. Aber wir können in den meisten Fällen nicht helfen und verweisen an die Regionsleitstelle. Wir dürfen nicht von uns aus ausrücken. Es muss einen Auftrag geben – beispielsweise von Feuerwehr, Polizei, Zoll oder dem Bamf (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Anmerkung der Redaktion). Woher kommt der sperrige Name des THW? Wie ist die Tradition entstanden? Tobias Großheide: Ursprünglich gab es vor und während der Zeit des Dritten Reichs die Technische Nothilfe. Diese hatte den gleichen Auftrag wie das THW: die Menschen aus den zerbombten Häusern holen. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg musste die Aufgabe weiter gemacht werden. Seit 1951 gibt es deshalb das Technische Hilfswerk. Wir leisten technische, aber keine medizinische Hilfe. Und wir haben blaue Fahrzeuge, weil damals festgelegt worden ist, dass alles, was mit Bergung zu tun hat, blau ist. Die Feuerwehr wird immer wieder gehypt – auch in Langenhagen. Das jüngste Beispiel ist das eigene Stickeralbum. Wie gelingt Ihnen Nachwuchsarbeit im Schatten der Jugendfeuerwehren? Tobias Großheide: Wir sind jugendmäßig gut aufgestellt. In der Minigruppe haben wir 15 Mitglieder, und es gibt noch eine Warteliste. Bei den Jugendlichen zwischen zehn und 17 Jahren haben wir 30 Junghelferinnen und Junghelfer. Pierre Graser: Wir haben relativ früh angefangen, auf die Mini-Gruppen für Sechs- bis Zehnjährige zu setzen. Dort gibt es einen recht großen Zulauf. Eigentlich können wir uns da nicht beschweren. Dennoch sinkt die Bereitschaft, sich ehrenamtlich zu engagieren. Was machen Sie, um diesen Trend zu stoppen? Wie werben Sie um Jugendliche? Was bieten Sie denen an? Tobias Großheide: Wir stehen in Konkurrenz zu einem riesigen Angebot an ehrenamtlichen Aktivitäten. Wir nehmen am öffentlichen Leben teil und präsentieren uns beispielsweise bei Veranstaltungen. Das Ende der Wehrpflicht hat das THW auch vor große Herausforderungen gestellt. Wir haben jetzt ein neues Konzept: Das THW wirbt Bufdis (Bundesfreiwilligendienstleistende, Anmerkung der Redaktion) an und versucht so, Jugendliche für das THW zu begeistern. Das Ganze hat in diesem Jahr begonnen. Der Erste startete am 1. April. Weitere Bewerbungen sind aber erwünscht. Pierre Graser: Natürlich sind wir auch in den sozialen Medien vertreten. Mit den Bufdis, die auch tagsüber Zeit haben, haben wir nun auch die Möglichkeit, in die Schulen zu gehen, um für das THW zu werben und Projekte anzubieten. Zudem haben wir viele Lehrgänge und Ausbildungen, die auch für das zivile und berufliche Leben interessant sind – Lkw-Führerschein, Bootsführerschein, Stapler-Führerschein, Ausbildung zur Führungskraft und vieles mehr. Doch das ist an eine aktive Mitarbeit geknüpft. Was heißt es, dass Sie durch den Wegfall der Wehrpflicht gekniffen gewesen sind? Wie hat sich das bemerkbar gemacht? Pierre Graser: Nach Wegfall der Wehrpflicht gab es eine ganze Zeit lang einen Einbruch bei den Freiwilligen. Inzwischen hat sich das gelegt und wir haben einen guten Zuwachs. Alle kommen freiwillig, und es gibt eine ganz andere Motivation zu helfen, als wenn ich jemanden motivieren muss, der „nur“ seinen Zivildienst leisten möchte. Aber es war ein Prozess, das hat gedauert. Jetzt haben wir zwischen fünf und zehn Erwachsene jedes Jahr, die neu eintreten und aktiv werden. Tobias Großheide: Inzwischen sind wir im Ortsverband etwas mehr als 200 Menschen. 90 operative Stellen müssen besetzt werden – darunter gibt es etwa 20 aktive Frauen. Wir nehmen nicht nur die Handwerker, in der Grundausbildung erlernt man alle Fertigkeiten, die man braucht. Wie profitieren Mitglieder von ihrer Arbeit im THW? Welchen Benefit haben Ehrenamtliche von ihrem Engagement? Tobias Großheide: Man lernt hier in ganz erheblichem Maße Sozialkompetenz. Von der Doktorin bis zum Lagerarbeiter haben wir ganz unterschiedliche Menschen in unseren Reihen. Es sind alle Schichten vertreten, alt und jung. Bei komplexen Aufgaben sind immer Teamlösungen gefragt. Die technische Handhabung von Geräten nimmt natürlich jeder gerne mit. Pierre Graser: Manche haben durch ihr Engagement Vorteile beim Arbeitgeber, weil sie zum Beispiel eine anerkannte Ausbildung für ein Gerät absolviert haben. Was müssen Interessierte mitbringen, wenn sie beim THW aktiv werden wollen? Tobias Großheide: Die Überzeugung, dass sie hier mitmachen wollen, und Zeit! Wir treffen uns alle zwei Wochen am Freitagabend. Zudem sind eine gewisse Grundfitness und eine Tauglichkeitsprüfung erforderlich. Pierre Graser: Alles was man sonst braucht – zum Beispiel die persönliche Schutzausrüstung inklusive Einsatzkleidung – wird gestellt. Der Ortsverband Hannover/Langenhagen des Technischen Hilfswerk hat aktuell 215 Mitglieder - von den Minis bis zu den Altersgruppen. 90 von ihnen sind im aktiven Einsatzdienst. Der Ortsverband ist 2003 aus der Fusion der Ortsverbände von Langenhagen und Hannover hervorgegangen und hat seinen Sitz an der Wiesenauer Straße 14. Die Fahrzeughalle steht auf Langenhagener Gebiet, und die Unterkunft gehört zum hannoverschen Stadtteil Brink-Hafen. Insgesamt haben die Ehrenamtlichen 13 verschiedene Fahrzeuge. Eine größere Anzahl an Anhängern, Booten und eine Feldküche komplettieren den Fuhrpark. Auf den Fahrzeugen hat das THW ähnliche Geräte wie die Feuerwehr – auf einigen ist das Material in einzelnen Containern gelagert, um den Laderaum im Notfall auch anders, zum Beispiel zum Transport von Sandsäcken oder Löschwasser, nutzen zu können. Das größte Fahrzeug kann zehn Tonnen laden und gehört der Fachgruppe Wasserschaden/Pumpen. Das kleinste ist ein Skoda Yeti, der als Fahrzeug für die Fachberater dient. jsp Tobias Großheide hat 1993 im THW angefangen – weil sein Bruder in der Feuerwehr war und er unbedingt etwas anderes machen wollte. Seit 2017 ist der heute 37-Jährige Ortsbeauftragter und trägt damit die Gesamtverantwortung für den Ortsverband Hannover/Langenhagen. Großheide wohnt in Barsinghausen und unterrichtet dort am Gymnasium die Fächer Erkunde und Politik/Wirtschaft. Er ist verheiratet und hat drei Töchter. Hat er abseits vom THW noch Hobbys? „Da bleibt keine Zeit mehr für etwas anderes“, sagt Großheide. Pierre Graser ist seit 42 Jahren im THW aktiv. Über einen Fernsehbericht über das Technische Hilfswerk ist der heute 58-jährige Langenhagener zu seinem Engagement gekommen. Seit vielen Jahren ist der Systemadministrator in der IT-Abteilung der Üstra Sprecher des Ortsverbands und im Mediateam des THW-Landesverbandes Niedersachsen. Der Vater von zwei Kindern hat Fotografie als weiteres Hobby. Das tägliche HAZ Corona-Update als Newsletter Alle News zum Coronavirus in Hannover täglich gegen 6 Uhr im E-Mail-Postfach. Liveticker: Die Lage in Hannover und Niedersachsen im Überblick Aktuelle Zahlen zum Coronavirus in der Region Hannover: So viele Infizierte gibt es HAZ-Expertenforum: Das antworten Mediziner auf Leserfragen zum Virus Alle Artikel zum Coronavirus in der Region auf einen Blick So können Sie Geschäften, Gastronomie und Freiberuflern in der Region Hannover jetzt helfen Lesen Sie auch: Neuer Chef: Tobias Großheide leitet den THW-Ortsverband Hannover/Langenhagen Herbst 2018: THW übt im Klärwerk Herrenhausen Ernstfall THW-Minis erleben Rettung am eigenen Leib Sammelspaß: Edeka legt Stickeralbum mit Langenhagener Feuerwehrleuten auf Von Julia Gödde-Polley