Lehrte: Stele soll Findling für Zwangsarbeiterlager Ida ersetzen

Der Findling mit der unleserlichen Schrifttafel kommt weg, eine gut sichtbare Stele ersetzt ihn. Das ist der Weg, mit dem die Stadt Lehrte künftig an ein dunkles Kapitel der Geschichte erinnern wird – an das Reichsbahnlager Ida am Eisenbahnlängsweg, in dem während des Zweiten Weltkriegs tausende Zwangsarbeiter eingesperrt waren. Die Ratsmehrheit aus SPD, Grünen und Die Linke setzt diese Form des Gedenkens jetzt gegen die Stimmen aus der CDU durch. Die Christdemokraten hätten lieber den Findling samt neuer Schrifttafel behalten. Für die Stele sind im neuen Haushalt der Stadt 10.000 Euro eingeplant. Im Finanzausschuss sind unlängst die unterschiedlichen Herangehensweisen ans öffentliche Gedenken deutlich geworden. Sozialdemokrat Bodo Wiechmann begründete dort den erst kurz zuvor verfassten Antrag, am Eisenbahnlängsweg eine Stele zu errichten. Diese müsse gut sichtbar sein und „einen Punkt der Aufmerksamkeit schaffen“, sagte er. Der Findling sei zu unscheinbar. CDU: Findling passt gut in die Landschaft: Marcel Haak (CDU) skizzierte die Meinung der Christdemokraten. Der Findling passe sich gut in die Landschaft ein und erinnere schließlich schon seit vielen Jahren an das Zwangsarbeiterlager. Das Gedenken daran aufrecht zu erhalten liege der CDU aber ebenso sehr am Herzen wie der Ratsmehrheit. Christian Gailus (Grüne) hielt dagegen: „ Das Lager Ida war ein Bruch mit der Menschenwürde. Ein Findling ist aber kein Bruch in der Landschaft und zu wenig auffällig. Die Stele würde sich nicht anpassen, sondern aufrütteln.“ Die Stele wird nach dem Willen der Ratsmehrheit ebenso eine Tafel erhalten wie der alte Findling. Darauf soll folgende Inschrift stehen: „An diesem Ort waren im Reichsbahnlager Ida von 1942 bis 1945 tausende Männer, Frauen und Kinder schutz- und rechtlos eingesperrt und wurden durch Zwangsarbeit für die NS-Kriegswirtschaft ausgebeutet. Die Befreiung der Lagerinsassen erfolgte am 11. April 1945 durch die Alliierten.“ Schärfere Formulierung als zunächst vorgeschlagen: Diese Formulierung ist deutlich schärfer als jene, welche die Stadtverwaltung im Dezember als Vorschlag dem Kulturausschuss unterbreitet hatte und die insbesondere bei Vertretern von SPD und Grünen auf Unwillen stieß. Sie lautete so: „Zum Gedenken an das Reichsbahnlager ,Ida‘, in dem während des Zweiten Weltkriegs Zwangsarbeiter, die auf dem Bahnhof Lehrte arbeiten mussten, untergebracht waren.“ Außerdem soll auf der neuen Stele samt Schrifttafel, deren genaues Erscheinungsbild noch festgelegt werden muss, auch ein QR-Code angebracht werden. Dieser soll auf die Internetseite des Dokumentationszentrums zur NS-Zwangsarbeit in Berlin verweisen ( ns-zwangsarbeit.de ). Auch eine Weiterleitung zu einer lokalen Lehrter Dokumentation für NS-Zwangsarbeit soll über den Code ermöglicht werden. Dokumentation über Lehrter Nazi-Opfer kommt: Letzteres allerdings erst, wenn die entsprechende Dokumentation fertig ist. Sie anzufertigen war ebenfalls ein Vorschlag aus der Ratsmehrheit gewesen, und für sie werden im neuen städtischen Haushalt 50.000 Euro bereit stehen. Wiechmann betonte im Finanzausschuss, dass es noch keine umfassende Dokumentation zu den Nazi-Opfern Lehrtes gebe. Man wolle nun eine inhaltliche Debatte dazu anstoßen. In der Debatte über das Gedenken an das Zwangsarbeiterlager Ida meldet sich auch der DGB-Ortsverband sowie der Ortsverein von Verdi zu Wort. „In einer Zeit, in der NS-Parolen offenbar wieder salonfähig werden und eine große Anzahl von Menschen erreichen, ist es höchste Zeit die Vergangenheit der Opfer der NS-Herrschaft in Lehrte aufzuarbeiten“, erklärt Vorsitzender Reinhard Nold einen Vorstandsbeschluss der Gewerkschafter. Man halte es für wichtig, dass Passanten und gerade junge Menschen ein Geschichtsbewusstsein vermittelt wird. Deshalb müsse auf der Gedenktafel am Eisenbahnlängsweg „in knappen Worten, aber in klarer Sprache“ auf die Lebensbedingungen im Lager Ida hingewiesen werde. Auch der DGB bittet um das Anbringen eines QR-Codes an der Gedenkstätte, der den Weg zu weiteren Informationen weist. Gewerkschafter hatten im vergangenen Jahr zum Antikriegstag am 1. September die Stätten der NS-Zwangsarbeit in Lehrte besucht und nicht nur an dem Findling am Eisenbahnlängsweg, sondern auch am Gedenkstein an der Mielestraße Blumen niedergelegt. Viele der Teilnehmer hätten nichts über die Zwangsarbeiterlager in Lehrte gewusst, betont Nold. Umso wichtiger sei es, das Gedenken aufrecht zu erhalten. Dass am Eisenbahnlängsweg nun eine Stele statt eines Gedenksteins errichtet werden soll, trifft auch bei den Lehrter Jusos auf Zustimmung. Die Nachwuchsorganisation der SPD hatte sich vor rund 25 Jahren dafür eingesetzt, den Findling samt der mittlerweile verwitterten Tafel zu platzieren. Eine Stele bezeichnet Juso-Chef Thore Meiwes jetzt als „genau die richtige Wahl, um die Menschen immer wieder daran zu erinnern, was für grausame Verbrechen auf deutschem Boden begangen wurden.“ Auch in der Generation der Kriegsenkel dürfe die Erinnerung nicht verblassen. Bei Bürgermeister Frank Prüße (CDU) rennt rot-grün-rot damit offene Türen ein. „Das ist eine außerordentlich gute Idee, wir sollten die Schulen in die Dokumentationsarbeit einbeziehen“, sagte er. Auch die CDU stimmte im Finanzausschuss diesem Vorhaben zu. Verantwortliche des Antikriegshauses in Sievershausen und Stadtarchivar Jens Mastnak hatten ihre Mitarbeit daran bereits zugesichert. Von Achim Gückel