Neustadt: Erfolgreiche Kunstaktion „Never ever again“ in früherer Buchhandlung

Sonnabend, 30. Januar 2021, 18.55 Uhr. Vor den Schaufensterscheiben des Fünfzigerjahre-Gebäudes der früheren Buchhandlung Biermann an der Wunstorfer Straße haben sich einige Menschen versammelt und versuchen, einen Blick ins Gebäudeinnere zu erhaschen. Denn die blickdichte Folie lässt über dem Schriftzug „Never ever“ in Augenhöhe neuerdings einen breiten Streifen frei und ermöglicht damit Durchblick, auch wenn das Gebäudeinnere im Dunkeln liegt. Noch. Aufmerksame Betrachter entdecken außerhalb des Gebäudes eine subtile Veränderung. Wer vor dem Schaufenster steht und in die Höhe blickt, sieht anstelle der Außenreklame, die mal in gelb-rot für Glücksspiel warb, jetzt ein leuchtendes Weiß. Einzige Beschriftung ist ein eingekreistes Ausrufezeichen. Wer auf das Gebäude zukommt, wird dagegen von einem eingekreisten Fragezeichen empfangen, das die andere Seite der Leuchtreklame ziert. 19 Uhr. Licht flammt auf, die Stimmen der Zuschauenden verstummen, dafür erklingen Töne aus dem Inneren. Ein Saxofonsolo, eine Männerstimme, dann Tanzmusik. Auf den ersten Blick identifizieren die Zuschauer Ledersessel, Tulpenschirm-Stehlampe und einen Tisch samt Zeitmaschine. Dann wird die Galerie erleuchtet. Die Schemen tanzender Menschen tauchen an der weißen Wand neben der geschwungenen Treppe auf und verblassen wieder. Auf der Galerie hängte eine Fotografie und zeigt Menschen in Lebensgröße. Es sind die Männer, die seinerzeit das Geländer schmiedeten. Der zweite Durchgang folgt, und weil die Fülle an Bildern gar nicht auf einmal aufzunehmen ist, wird weiter geschaut. Wobei sich die Tonbandstimme aus dem Innenraum, die splitterhaft Informationen zur Geschichte des Gebäudes liefert, mit den Stimmen der Betrachtenden mischt, die miteinander ins Gespräch gekommen sind. Lesen Sie auch Verleger Sicius’ letzte Spur am Bahnhof verschwindet Kunstaktion zum Abschied der alten Buchhandlung Cornelia Urban lässt die Schatten tanzen: Einer von ihnen, Dieter Buuck, ist unter den Zuschauenden und erzählt seinem Nebenmann, wie Lehrlinge seinerzeit die Metallrohlinge für das Geländer von der Leinstraße bis zum Neubau schleppen mussten. Flüchtiger als die Handwerkskunst aus Metall ist die Installation von Cornelia Urban, die an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig studierte. Urban belebt den Raum mit schemenhaft auftauchenden Gestalten, die zur Tanzmusik der Fünfzigerjahre munter über die weiß getünchten Wände tänzeln. Weitere Kunstwerke kamen vom Pariser Fotograf Michael Hirsch, der in Neustadt aufwuchs, und vom Maler Bernd Langer. Während die Arbeiten von Langer an ehemaligen Buchregalen lehnen, sind Hirschs Fotografien als Projektion an der Westwand zu erleben. Sie wurden mit historischen Motiven rund um die Historie des Gebäudes gemischt. Hat man alles entdeckt? Wahrscheinlich nicht! Denn Cornelia Urban und Rüdiger Peglow sprühen vor Inspiration und konnten dank zahlreicher Unterstützer und Sponsoren viele Einfälle realisieren. Deshalb die Empfehlung: beim nächsten Gang durch die Innenstadt ein bisschen Zeit mitzubringen, um sich von der schillernden Kunstgeschichte in den Bann ziehen zu lassen. Die jeweils zehnminütigen Aufführungen sind bis zum Sonnabend, 13. Februar täglich von 6 bis 8 Uhr morgens und von 16 bis 21 Uhr zu erleben. Von Patricia Chadde