Neustadt: Wie Mardorfs Dorfgemeinschaft die Neue Schule vor dem Abriss rettete

Es fehlt nicht viel, dann kommt Neustadt auf die stolze Summe von 400 Baudenkmälern, die über alle 34 Ortsteile verstreut sind. Wohnhäuser und Scheunen, Kirchen und Schulen sind darunter. Manche haben mittlerweile einen vollkommen anderen Zweck als zu ihrer Entstehungszeit, viele sind über Jahrhunderte liebevoll gepflegt worden. Die Neue Schule in Mardorf beispielsweise verdankt der Dorfgemeinschaft ihren Erhalt. Friedrich Dankenbring öffnet die Tür weit und zeigt auf Holz, Beschläge und Fenster. „Alles noch original“, sagt er, „und der einzige Meßwarb-Bau, den wir in Mardorf haben.“ Ernst Meßwarb (1873–1920) war ein Architekt aus dem Nachbarort Rehburg, der sich einen Namen mit seinen historistisch anmutenden Bauten machte. Ernst Meßwarb (1873–1960) war ein Architekt aus Rehburg. Wie sein Vater Wilhelm Meßwarb (1839–1920) wirkte er jedoch nicht nur architektonisch, sondern war auch Bürgermeister Rehburgs. Während der Vater der Stadt von 1878 bis 1912 vorstand, folgte sein Sohn ihm in diesem Amt von 1912 bis 1938. Das architektonische Wirken beider prägt bis heute das Erscheinungsbild Rehburgs, wo noch viele ihrer Bauten wie etwa die Alte Schule, der Raths-Keller, aber auch die Wohnhäuser, die sich beide selbst bauten, erhalten geblieben sind. Zu einiger Berühmtheit hat es auch die Villa gebracht, die Ernst Meßwarb 1902 für einen Herrn Kaufmann in Rehburg entwarf und in die wenige Jahre später die Familie Jünger einzog. Der älteste Sohn jener Familie ist der Schriftsteller Ernst Jünger, der in Rehburg seine Jugendjahre verbrachte und später Ehrenbürger der Stadt wurde. Vater und Sohn Meßwarb verlegten sich in Zeiten, in denen in Weimar und Dessau das Bauhaus dabei war, vollkommen neue Wege zu gehen, auf einen Baustil, der sich an historischen Vorbildern orientierte und als „Rehburger Baustil“ zu regionaler Berühmtheit gelangte. Die markanten Bauten sind nicht nur in Rehburg, sondern auch in vielen anderen Orten der Umgebung zu finden. Nicht wenige von ihnen stehen heute unter Denkmalschutz. 1907 entstand die Mardorfer Schule, Meßwarb hatte zwei Jahre zuvor einen ähnlichen Bau in Rehburg geschaffen. Die Handschrift des Architekten ist in beiden Bauten deutlich erkennbar, wenngleich Mardorfs Fassade wesentlich weniger verspielt ist. „Das war wohl auch eine Frage der Finanzen“, sagt Dankenbring schmunzelnd. Die Mardorfer wollten einen angesehenen Architekten, aber für allzu viel Schnickschnack gaben sie kein Geld her. Schnickschnack und Historismus enden spätestens im Inneren des Gebäudes. Deutlich wird das im Erdgeschoss, in dem Meßwarb sich für Stahlträger statt für althergebrachte Holzbalken entschied. Darunter rauchten sämtlichen Schülern in einem einzigen Raum die Köpfe. Andächtig die alte Tür aufschließen: Im Dachgeschoss hatte der Schulleiter seine Wohnung, im Keller wurden Kohlen und Kartoffeln gelagert. Das Fenster, das als Kohlenschütte diente, ist noch als solches zu erkennen. Von den Bodenfliesen bis zu den Türen hat die Dorfgemeinschaft allerhand aus der alten Substanz gerettet. Nahezu andächtig nimmt Dankenbring einen großen Schlüssel in die Hand, um den Klassenraum aufzuschließen. Das Schloss, sagt er stolz, sei noch jenes von 1907. So wie auch der Schlüssel. Es sei immer etwas Besonderes, damit aufzusperren. Lesen Sie auch Bunge-Haus in Mardorf wird zum Feriendomizil Neustadt: Zehntscheune in Amedorf liegt im Dornröschenschlaf Originalgetreu sind auch die Fassaden. Nur die kleine Rampe am Eingang für den barrierefreien Zugang ist erst seit gut fünf Jahren dort. Im Eingangsbereich wurden die Schüler mit dem aufmunternden Spruch „Aller Anfang ist schwer“ begrüßt, rechts davon steht an der Wand „Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen“. Der Zeit geschuldet, meint Dankenbring, seien wohl auch die drei Worte, die an drei Fassaden aus Ziegeln geformt sind: Treu, wahr, fest. Kaiserzeit, Kaisertreue – daher komme das vermutlich. Stadt wollte das Baudenkmal abreißen: 1980, erzählt Dankenbring, habe die Stadt Neustadt das Gebäude abreißen lassen wollen. Es gab keinen Nutzer mehr für das baufällige Haus. Dass es damals bereits unter Denkmalschutz stand, habe die Stadt wenig geschert. Die Mardorfer aber wollten auf das Prunkstück im Ort nicht verzichten. So wurde der Verein „Dorfgemeinschaft Mardorf“ mit dem Ziel gegründet, die Neue Schule zu erhalten. Heute ist die Schule das Dorfgemeinschaftshaus, gibt dem Mardorfer Chor und dem Angelverein Unterschlupf. Es wird geöffnet, wenn beim Kunsthandwerkermarkt Platz benötigt wird, beheimatet außerdem im Dachgeschoss das Archiv Mardorfs. Flüchtlinge werden nach dem Krieg einquartiert: Lediglich bis 1945 wurde in der Schule unterrichtet, dann vereinnahmten zunächst die Briten das Gebäude. Als sie gingen, wurden Flüchtlingsfamilien aus Schlesien einquartiert. „Eine Generation ist hier groß geworden“, sagt Dankenbring. Bis in die Siebzigerjahre lebten zwei dieser Familien dort, und sie seien auch danach in Mardorf geblieben. Sie seien gut integriert: „Die Kinder haben sogar das Mardorfer Platt gelernt“, sagt er schmunzelnd. Als die Familien auszogen, wurde die Schule zunächst Produktionsstandort einer Rehburger Strumpffabrik, dann arbeiteten dort Frauen für Gummi-Henniges, einen Autozulieferer. Und dann wollte zunächst niemand mehr die Neue Schule nutzen, sodass die Stadt Neustadt, in deren Eigentum sie mit der Gebietsreform 1974 übergegangen war, sie abreißen lassen wollte. Wie gut, dass einige Mardorfer das überhaupt nicht gut fanden und bereit waren zu handeln. Heute, sagt Dankenbring, würden sogar Radtouren aus umliegenden Orten nach Mardorf geleitet, weil hier ein alter Meßwarb-Bau zu sehen sei – ein Prunkstück unter den vielen Baudenkmälern des Dorfes. Von Beate Ney-Janßen