Wennigsen: So kommt Familie Philipp durch die Corona-Krise

Emilia sitzt an einem langen Holztisch in der Küche. Sie blättert vorsichtig durch ein Heft, zeigt stolz auf all die Aufgaben, die sie schon erledigt hat. Die Fünfjährige ist gut vorangekommen. „Dabei hat sie das Heft erst heute angefangen“, sagt ihre Mutter lächelnd. Aber im Gegensatz zu ihr hat das Kind nun einmal Zeit. Annika Philipp ist 34 Jahre alt, Lehrerin an der Gehrdener Oberschule in Vollzeit – und dreifache Mutter. Ihre beiden kleinen Kinder, Emilia und Morten (9), gehen vier Tage die Woche zur Notbetreuung in den Kindergarten und die Grundschule, ihre Tochter Yasmina (12) folgt dem sogenannten Homeschooling. „Ich mache Schule zusammen mit einer Freundin, einen Tag bei ihr, einen Tag bei mir“, erzählt sie. So sind zumindest die meisten Vormittage insoweit durchstrukturiert, dass Philipp auch ein wenig Zeit hat, sich auf ihren Job zu konzentrieren. Wenig Zeit für eigene Bedürfnisse: Im Grunde bestehe ihr Leben, seit Corona angefangen hat, bloß noch aus Arbeiten, Kinderbetreuung und Schlafen. Auf die Frage, ob sie sich auch mal Zeit für sich nehmen kann, folgt ein müdes Lächeln. Sie überlegt kurz. „Eigentlich nicht.“ Es habe sich so vieles geändert, seit die Pandemie ausgebrochen ist. „Morten zum Beispiel kann nicht mehr zum Sport. Das fehlt ihm, und das merkt man.“ Er sei unausgeglichener. Da habe es Yasmina schon besser, die Klavier spiele. „Das geht zu Hause.“ Vereine bieten Training über Zoom an: Philipp lobt das Engagement der Vereine. „Die bieten fast alle Training über Zoom an“, erklärt sie. Bei manchen funktioniere das gut. Emilia aber mache dann nicht mit. „Sie geht total gern zum Kindertanzen“, sagt Philipp. Aber über den Computer habe sie leider keinen Spaß daran. Eigentlich sollte die Fünfjährige, bevor sie im Sommer in die Schule kommt, auch Schwimmen lernen. Der Kurs sei aber ausgefallen. „Die anderen haben vor der ersten Klasse das Seepferdchen gemacht“, erinnert sich die Mutter. Aber seit Corona angefangen hat, ist auch Schwimmen weggefallen. Trotzdem vertreibt man sich irgendwie die Zeit. Im Dezember habe sie mit den Kindern sehr viel und häufig Plätzchen gebacken, berichtet Philipp. „So viel, dass wir dachten, das können wir gar nicht alles essen“, sagt Emilia. Ansonsten koche die Familie viel zusammen – praktisch, da Papa Sven beruflich Koch ist. „Ich glaube, wir haben gefühlt schon jedes Gesellschaftsspiel durch, das es gibt“, erzählt Philipp weiter. Und der große Holztisch, den die Kinder nutzen, um Schulaufgaben zu machen, wird ziemlich häufig auch mal umfunktioniert. „Dann wird hier gemalt oder getuscht.“ „Zum Glück haben wir auch ein Haus und einen Garten“: „Zum Glück haben wir auch ein Haus und einen Garten. Ich glaube, in einer kleinen Wohnung in Hannover wäre ich schon wahnsinnig geworden“, sagt Philipp dankbar. Zu Hause gebe es genug Rückzugsorte für alle, die Kinder könnten draußen spielen, das sei ein großer Vorteil. Insbesondere wenn sie den Vergleich zu einigen ihrer Schüler zieht. Nicht nur was den Platz, sondern auch was die Unterstützung im Elternhaus angehe. „Viele können ihren Kindern nicht bei den Hausaufgaben helfen“, erzählt Philipp. Sie mache sich Sorgen um die Zeit nach der Pandemie und die Folgen des aktuellen Zustands. Sie beobachte solche zum Beispiel bei ihren Kindern, was den Sprachunterricht angeht. Dazu gehöre in erster Linie Sprechen und direkte Kommunikation. Momentan laufe das alles aber nur schriftlich, da bleibe vieles auf der Strecke. Nur ein Kind darf sich zum Spielen verabreden: Auch was soziale Kontakte angehe, sei die Situation belastend, insbesondere seit den jüngsten Verschärfungen. „Es darf nur ein Kind zum Spielen herkommen. Dann müssen wir immer abwägen, jeden Tag, wer sich jetzt verabreden darf“, erzählt Philipp. Das führe mitunter auch mal zu Streit. Gerade die beiden Kleineren kriegten sich öfter mal in die Haare. Dann wird es laut. „Und wenn es mir zu viel wird, hilft nur noch, raus in den Wald zu gehen.“ Da sei die Familie ohnehin dauernd. Zum Glück liegt der Wald nicht weit entfernt. Trotz all des unfreiwilligen Verzichts auf so vieles wirkt die Familie nicht unglücklich. „Es ist alles distanzierter. Wenn man sich mit Freundinnen trifft, nimmt man sich nicht in den Arm, sondern bleibt mindestens eineinhalb Meter voneinander entfernt stehen. Aber als Familie sind wir enger zusammengewachsen“, erzählt Philipp. Und ein wichtiger Aspekt kommt noch hinzu, der diese Situation für die drei Kinder ein wenig erträglicher macht. „Wir haben drei Kaninchen“, erzählt Yasmina strahlend. Für diese hätte sie sogar schon Futter selbst gemacht. Corona macht offenbar auch kreativ und bringt viele Menschen dazu, sich auszuprobieren und Neues zu schaffen. Deshalb gilt laut Philipp im Grunde: Augen zu und durch – und in der Zwischenzeit das Beste draus machen. Staubsaugen sorgt für Entspannung: Und dann fällt der Mutter und Lehrerin doch noch ein, wann sie mal ein wenig runterfahren kann. „Zum Glück ist mein Mann nachmittags da, und wir sind zu zweit. Dann kann auch er mal einfach mit den Kindern rausgehen, wenn es mir zu viel wird.“ Dann gehe es aber nicht auf die Couch. Die Zeit nutze sie zum Beispiel, um Staub zu saugen. Doch Annika Philipp versichert: Das gehört derzeit zu den Dingen, die sie entspannen. Von Janna Silinger