Wunstorf: Schloss Blumenau war Versteck für die Kronjuwelen der Welfen

Blumenau sammelt Geschichten. Das 1317, 1320 und 1321 urkundlich erwähnte Dorf hätte längst feiern wollen. Die Pandemie hat das verhindert. Corona bietet aber auch die Chance, die Sammlung historischer Episoden noch zu vergrößern, bis wieder gefeiert werden kann. Ortsbürgermeisterin Dagmar von Hörsten ruft kundige Einwohner auf, Historisches zum Ort mitzuteilen, um anlässlich des 700-jährigen Ortsjubiläums Mosaiksteine der Ortsgeschichte zu sichern. Ein Teil dieses Mosaikes ist die spannende Episode über die Kronjuwelen des Königshauses Hannover. Eine geheime Kutsche in der Nacht: In der Dunkelheit der Nacht rollt 1867 eine königliche Kutsche vom Schloss Marienburg, vorbei an preußischen Stellungen. Ihr Ziel ist das Blumenauer Schloss. Ihre Fracht ist der kostbare Kronschatz des Königshauses Hannover. Die Eskorte schafft es unbemerkt. Der Schatz findet für kurze Zeit sein Versteck in Blumenau. Was wie die Szene eines historischen Romans wirkt, hat sich vor 154 Jahren ereignet. Nicht nur wegen dieses Ereignisses habe das Blumenauer Schloss mehr Beachtung verdient, meint der Wunstorfer Historiker Dirk Neuber, der die Quellen zu dieser Geschichte studiert hat. Die Kutsche fuhr damals auf Anordnung von Königin Marie von Hannover. Gräfin Julie Kielmansegg war nach der Ankunft für die Sicherheit und Zukunft der Kronjuwelen im Blumenauer Schloss verantwortlich. Sie war Hausherrin im 1865 fertig gestellten Schloss. Erbauer war der frühere Ministerpräsident des Königreiches Hannover, Eduard von Kielmansegg. Das Gebäude diente ihm als Altersruhesitz. Königin Marie hatte Angst, dass der Schatz in die Hände der Preußen fallen könnte, die Hannover annektiert hatten. Ihr Mann, König Georg V., war bereits ins Exil in Hietzing bei Wien geflohen. Juwelen lassen die Gräfin zittern: Die Tour der Kutsche war offenbar exakt geplant. Die erste Etappe vom Schloss Marienburg über Herrenhausen und Linden bis zum Gümmerwald leitete eine Kammerfrau und enge Vertraute der Königin. Ab dort übernahm Freiherr und Graf von Kielmansegg in seiner Kutsche die Weiterfahrt ins Blumenauer Schloss. Das war aber nur die erste Station eines spektakulären Schatztransportes. Denn Blumenau war noch nicht der sichere Ort außerhalb Preußens, den Königin Marie im Sinn hatte. Gräfin Julie Kielmansegg ließ die gesamten Kronjuwelen in ihrem Schlafzimmer lagern. In ihrer Aufregung und Anspannung schien ihr dies der sicherste Ort zu sein, wie sie selbst in der veröffentlichten Familienchronik beschreibt: „Bei der großen Masse der Kostbarkeiten und der Verantwortung, die ich übernommen habe, beschlich mich ein innerliches Zittern.“ Innerhalb der nächsten 14 Tage sollten die Kronjuwelen in London in Sicherheit sein. Die Krone steckt im Wollknäuel: Aus Sicherheitsgründen und zur Vorbereitung der heimlichen Ausfuhr ließ die Gräfin jeden Edelstein aus den Etuis nehmen, in Watte und Leinen packen und dann in ein Kleidungsstück einnähen. „In meiner Handtasche in einem großen Wollknäuel zum Strickzeug steckte die kleine englische Juwelenkrone. Ein großes Strahlendiadem trug ich, in Ohrenwärmer eingenäht, unter dem Hut“, berichtet Gräfin Kielmansegg. Lesen Sie auch: Die Ausstellung auf Schloss Marienburg Es gelang ihr und ihrem Mann, unter Umgehung möglichst vieler Grenz- und Zollkontrollen die geheime Mission abzuschließen und die Kronjuwelen der Welfen per Schiff nach London zu bringen. Dort wurden sie an den Herzog von Cambridge übergeben, der sie wiederum auf Anordnung von Königin Marie in einer Bank deponierte. Die Überführung des Schatzes verlief nach den Schilderungen der Gräfin derart reibungslos, dass sie es bereute, aus übergroßer Vorsicht das Zepter und drei goldene mit Edelsteinen besetzte Kronen, die „bereits als Huthalter hergerichtet, in der Putzabteilung meines Koffers gut Platz gefunden hatten und dort meiner Meinung nach kaum zu entdecken gewesen wären“, in Blumenau zurückgelassen und dort im Weinkeller versteckt zu haben. Erst Monate später konnte ihr Mann die sorgfältig gepackte Kiste mit diesen verbliebenen Kostbarkeiten bei Prinzessin Louise von Hessen-Kassel im Offenbacher Schloss Rumpenheim deponieren. Die Prinzessin übergab sie bald der Herzogin von Cambridge in England. Die Insignien reisen geheim weiter: Die Mission der Blumenauer Schlossherren war damit noch nicht beendet. Zwei Jahre später überführten die von Kielmanseggs die Schätze – wiederum auf Wunsch der königlichen Familie – aus London über Paris in die Schweiz nach Gmunden, dem letzten Wohnsitz der königlichen Familie. „Als vor sieben Jahren, nahezu eineinhalb Jahrhunderte nach der Flucht von Georg V. ins Exil, auf Schloss Marienburg diese Kronjuwelen zum ersten Mal im Rahmen der Ausstellung ,Auf dem Weg zur Krone‘ öffentlich gezeigt wurden, hat sicherlich niemand an diese spektakuläre Aktion zur Rettung der Kronjuwelen in Blumenau gedacht oder überhaupt von ihr gewusst, sonst hätte man sie erwähnt“, sagt der Chronist Dirk Neuber. Von Winfried Gburek