Auf die Zukunft bauen: Warum es sich nachhaltig besser wohnt
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„Das Einfamilienhaus auf der grünen Wiese ist am wenigsten energieeffizient“, sagt Anja Bierwirth. Besser sei es, in gewachsenen Quartieren nachzuverdichten, meint die Expertin.
© Quelle: imago images/Arnulf Hettrich
Hannover. Wer beim Bauen an Nachhaltigkeit denkt, dem fallen womöglich gute Dämmungen, erneuerbare Energien und ökologische Materialien ein. Das ist alles richtig, aber zunächst zweitrangig. Die erste Frage, die sich umweltbewusste Bauherren stellen sollten, lautet: Will ich überhaupt neu bauen? Und wenn ja, wo will ich bauen?
Täglich werden in Deutschland 80 Hektar Boden versiegelt, das entspricht gut 100 Fußballfeldern. Viele neue Siedlungen entstehen auf ehemaligen landwirtschaftlichen Flächen. Die Bewohner legen oft weite Wege mit dem Auto zurück, etwa zur Arbeit oder zum Einkaufen – das vergrößert den ökologischen Fußabdruck zusätzlich. „Das Einfamilienhaus auf der grünen Wiese ist am wenigsten energieeffizient“, sagt deshalb Anja Bierwirth, Leiterin des Forschungsbereichs Stadtwandel am Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt und Energie.
Wohnungen auf Parkhäusern oder Supermärkten
Besser sei es, in gewachsenen Quartieren nachzuverdichten, meint die Expertin. Wohnflächen lassen sich etwa durch die Aufstockung von Gebäuden gewinnen. „Jedes Dach ist ein potenzieller Bauplatz, voll erschlossen und mit funktionierender Infrastruktur“, schreibt der Verband Privater Bauherren (VPB). Auch auf Parkhäusern und Supermärkten werden inzwischen Wohnungen gebaut. Ehemalige Gewerbeflächen bieten sich ebenfalls für eine Wohnbebauung an.
Kompakter Hauskubus am nachhaltigsten
Wenn neu gebaut wird, sollte bereits in der Planungsphase auf Nachhaltigkeit geachtet werden. Das betrifft unter anderem die Architektur: „Nachhaltige Gebäude müssen kompakt sein. Je weniger Ecken, Kanten und Vorsprünge ein Hauskubus hat, umso leichter ist er zu bauen und zu unterhalten“, heißt es beim VPB. Denn über Außenflächen geht Wärme verloren. Deshalb empfehlen sich aus energetischer Sicht vor allem Reihen- und Mehrfamilienhäuser. Strom und Wärme können etwa über Fotovoltaikanlagen oder Luft-Wärme-Pumpen gewonnen werden.
Intelligente Haustechnik spart Energie, indem die Heizung entsprechend den Lebensgewohnheiten der Bewohner gesteuert wird. Seriell in Fabriken vorgefertigte Gebäudeteile, die auf der Baustelle zusammengesetzt werden, sind vergleichsweise günstig und ressourcensparend. „Nachhaltiges Bauen muss zum Wohle für Klima, Menschen und Ökonomie sein“, sagt Felix Jansen, Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB). Bei der Vergabe von Zertifikaten zählt Ganzheitlichkeit.
50 Prozent verbrauchter Ressourcen dem Bauen geschuldet
Eine Alternative zum Neubau ist die Sanierung von Bestandsgebäuden. Dabei werden vergleichsweise wenig Ressourcen verbraucht. Außerdem wird die sogenannte graue Energie weitergenutzt, die bereits im Gebäude steckt. Suffizientes Bauen, also ein möglichst geringer Verbrauch von Ressourcen, Energien und Flächen, ist das Gebot der Stunde. Denn mittlerweile werden sogar Baustoffe wie Sand knapp.
Jedes Jahr verbrauchen vor allem die großen Industrienationen weit mehr natürliche Ressourcen, als die Erde hervorbringen kann. Verantwortlich dafür ist nicht zuletzt der Bausektor. „In Deutschland beansprucht die gebaute Umwelt jährlich mehr als 50 Prozent der verbrauchten Ressourcen, produziert über 50 Prozent des gesamten Abfalls und gehört gleichzeitig zu den energieintensiven Branchen“, schreibt die Bundesstiftung Baukultur. Vergleichsweise wenig Material und Energie wird verbraucht, wenn die Wohnfläche verringert wird. Mittlerweile bewohnt jeder Deutsche im Schnitt knapp 47 Quadratmeter, 1990 waren es weniger als 35 Quadratmeter.
Aktueller Trend: kleinere Wohnung, gemeinschaftliche Nutzung
Angesichts der Knappheit von Bauland und der hohen Preise dafür besteht in vielen Ballungsräumen aktuell ein Trend zu kleineren Wohnungen. Einige Wohnprojekte setzen auf die gemeinschaftliche Nutzung von Räumen – etwa der Hobbywerkstatt oder der Waschküche. Das Gästezimmer und der Gemeinschaftsraum können bei Bedarf gebucht werden. Grundrisse werden so geplant, dass Räume flexibel genutzt werden können oder später eine Einliegerwohnung abgetrennt werden kann.
Nachhaltiges Bauen steht auch für das Denken in Stoffkreisläufen: „Alte Gebäude sind die Minen der Zukunft“, sagt Henning Wilts, Abteilungsleiter Kreislaufwirtschaft beim Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt und Energie. Häuser sollten im Idealfall so gebaut werden, dass sie später sortenrein in ihre Bestandteile zerlegt werden können. Technische Verfahren ermöglichen es inzwischen, selbst Beton so aufzubereiten, dass er erneut im Hausbau eingesetzt werden kann. Auch Kunststoffe können wiederverwertet werden. Für einige Bauelemente wie Fenster und Türen gibt es Gebäudeteilebörsen.
Die richtige Kombination an Baustoffen wählen
In Pionierbauten werden bereits fast ausschließlich Recyclingmaterialien verbaut. Baustoffe seien aber selten per se nachhaltig, sagt Wilts. Es komme vielmehr darauf an, wie und in welcher Kombination sie verwendet werden. Einige Materialien besitzen jedoch grundsätzlich eine gute Ökobilanz. Dazu gehört Holz, insbesondere, wenn es aus regionaler, nachhaltiger Forstwirtschaft stammt und nicht chemisch behandelt wird. Der Baustoff besitzt gute Dämmeigenschaften und bindet das klimaschädliche Gas CO₂.
Naturbelassene Schafwolle und Zellulose sind leicht zu entsorgende Dämmstoffe – ganz anders als herkömmliche Verbundsysteme, die oftmals als Sondermüll behandelt werden müssen. Wände können auch aus Lehm und Stroh gebaut werden. Glas, Hanf, Linoleum, Kork und Fliesen gelten ebenfalls als nachhaltige Materialien.
So geht nachhaltiger Hitzeschutz
Wegen der heißen Sommer der vergangenen Jahre rückt zunehmend das Thema Mikroklima in den Blickpunkt. Damit sich Häuser nicht zu sehr aufheizen, kann ein außen liegender Sonnenschutz angebracht werden. Modernes Sonnenschutzglas und über die Aufbereitung von Erdwärme funktionierende Geothermieanlagen zur Kühlung sorgen ebenfalls für angenehme Temperaturen.
Einen natürlichen Wärmeschutz bieten Gründächer und begrünte Fassaden. Verdunstungskühle übt einen positiven Effekt auf die unmittelbare Umgebung aus. Außerdem bieten die Pflanzen auf, am und um das Gebäude Lebensraum für Tiere. Viele nachhaltige Häuser sind also im wahrsten Sinne des Wortes grüne Häuser.
Auf die inneren Werte kommt es an
Der Gesundheitsaspekt spielt beim nachhaltigen Bauen eine große Rolle. Das betrifft vor allem den Innenausbau, denn 90 Prozent unserer Lebenszeit verbringen wir in Räumen. In allen Bauprodukten sind rund 20.000 verschiedene chemische Verbindungen bekannt – viele davon können die Bewohner krank machen. Ökoprodukte sollten keine störenden Gerüche, Reizstoffe oder toxischen Substanzen enthalten.
Siegel wie der Blaue Engel oder Natureplus stehen für umweltverträgliche Produkte. Allerdings gibt es inzwischen eine Flut an Auszeichnungen, und ihre Aussagekraft ist begrenzt. Wer gesunde und umweltgerechte Baumaterialien verwenden will, sollte sich deshalb von einem geschulten Händler oder einem spezialisierten Bausachverständigen beraten lassen. Eine erste Orientierung bieten Datenbanken des Sentinel-Haus-Instituts und des Biobau-Portals.
Auch Möbel, Farben und Co. können nachhaltig sein
Als unbedenkliche Bodenbeläge gelten Fliesen, Naturfaserteppiche sowie Kork und Linoleum. Mineralische Putze etwa aus Lehm oder Kalk sorgen für ein angenehmes Raumklima, was insbesondere Allergikern zugutekommt. Farben und Lacke sollten lösungsmittelfrei sein. Auf dem Markt sind Produkte auf Naturharzbasis. Auch Leinöl, Schellack oder Kaseinfarbe gelten als wenig belastend.
Nachhaltige Möbel bestehen vor allem aus nachwachsenden Rohstoffen, Massivholz und mehrschichtigen Platten. Sie sollten möglichst mit Lasuren, Naturharzölen oder Wachs behandelt worden sein. Für Polster und Matratzen eignet sich natürliches Latex. Beim Möbelkauf sollte zudem auf ökologischen Anbau, kurze Transportwege und faire Bezahlung geachtet werden.
In unserer Serie „Wie wollen wir jetzt Leben?“ stellen wir Ihnen vom 7. bis zum 14. November Ideen für eine nachhaltige Welt vor.