Jeder vierte Azubi bricht ab: Warum – und was könnte besser laufen?
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/2WF6CIU2NVHMDATYYI2NSYLABE.jpeg)
Ein Auszubildender eines Elektroinstallationsbetriebes wirft mit aufgerollten Kabeln und einem Akkuschrauber einen Schatten.
© Quelle: Julian Stratenschulte/dpa
Hannover. Unzufriedene Azubis, zahlreiche Ausbildungsabbrüche: Die Zahlen und Fakten des aktuellen Berufsbildungsberichts 2023 verdeutlichen die Schwierigkeiten, die es auf dem Ausbildungsmarkt gibt. Laut der Studie, die sich auf Daten des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) bezieht, wird jeder vierte Ausbildungsvertrag vorzeitig aufgelöst – eine Abbrecherquote von 26,7 Prozent.
Zwar gilt: „Nicht jede vorzeitige Vertragslösung ist gleich ein Scheitern“, sagt Silke Richter, Leiterin der Abteilung Berufsbildung bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Hannover. „Denn zu den Abbrüchen werden beispielsweise auch Fälle gezählt, in denen ein Azubi in einen anderen Betrieb wechselt oder sich noch für ein Studium entscheidet.“
Laut Ausbildungsreport des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) vom August 2022 ist der Großteil der Azubis (73,3 Prozent) mit der Ausbildung „zufrieden“ oder sogar „sehr zufrieden“. Doch das bedeutet im Umkehrschluss auch, dass mehr als ein Viertel unzufrieden ist.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/DMGOZCVWFNFMJBUMXEZCJBR5CM.jpg)
Das Leben und wir
Der Ratgeber für Gesundheit, Wohlbefinden und die ganze Familie - jeden zweiten Donnerstag.
Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.
Gründe für Ausbildungsabbruch: Überstunden, schlechte Qualität
Die Mehrheit der Abbrüche, das zeigen die BIBB-Statistiken, geschieht aus betrieblichen und zwischenmenschlichen Gründen. Die Jugendlichen klagten demnach über Probleme wie zu viele Überstunden, ausbildungsfremde Tätigkeiten oder schlechte Berufsschulqualität.
Rund ein Drittel der Befragten gab an, regelmäßig Überstunden leisten zu müssen (32,8 Prozent). Und bei 34,5 Prozent fehlt der gesetzlich vorgeschriebene Ausbildungsplan, der die Gliederung der Lehre regeln soll und die Inhalte so überprüfbar macht.
Wo am häufigsten abgebrochen wird
Die höchste Abbruchquote im Jahr 2021 wies der Beruf Fachfrau/Fachmann für Systemgastronomie auf (50,8 Prozent). Auch in weiteren Berufen des Hotel- und Gastgewerbes waren die Lösungsquoten überdurchschnittlich hoch: Köchin/Koch (46,6 Prozent), Restaurantfachfrau/-fachmann (44,4 Prozent) sowie Hotelfachfrau/-fachmann (42,0 Prozent).
Vergleichsweise hohe Abbruchquoten von über 45 Prozent finden sich außerdem bei den Ausbildungen Gebäudereinigerin/Gebäudereiniger (49,7 Prozent), Fachverkäuferin/Fachverkäufer im Lebensmittelhandwerk (48,4 Prozent), Kosmetikerin/Kosmetiker (47,8 Prozent), Fachkraft für Schutz und Sicherheit (47,5 Prozent), Friseurin/Friseur (45,3 Prozent) sowie Fachkraft für Möbel-, Küchen- und Umzugsservice (45,0 Prozent).
Oft fehlt die Wertschätzung
Ernst Deuer, Professor an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Ravensburg sieht einen entscheidenden Grund für Ausbildungsabbrüche in der Gratifikationskrise. „Diese Krisen treten auf, wenn man den Eindruck hat, dass die eigenen Leistungen nicht hinreichend gewürdigt werden“, erklärt der Wissenschaftler, der sich schon viele Jahre mit dem Thema beschäftigt.
Dabei würden gestellte Anforderungen und erfahrene Belohnungen ins Verhältnis gesetzt. „Kritisch sind hierbei weniger die Anforderungen – es mangelt eher an den Belohnungen.“ Dazu zähle sowohl eine angemessene Ausbildungsvergütung, als auch eine Wertschätzung der Jugendlichen im Betrieb.
Ausbildungsverantwortliche müssten eine Sensibilität dafür entwickeln, wie Nachwuchskräfte ihre Ausbildung wahrnehmen und welche Wünsche und Vorstellungen sie diesbezüglich haben, meint Deuer. „Man kann und muss nicht jeden Wunsch erfüllen – aber man sollte sich dafür interessieren, um gegebenenfalls Verbesserungen anzustoßen.“
Abbruch häufig in der Probezeit
Dabei gehe es nicht nur um Geld. „Ein Lob mehr an geeigneter Stelle und regelmäßiges Feedback, was die Weiterentwicklung fördert – hiermit lässt sich klimatisch schon einiges erreichen“, meint Deuer, der darauf hinweist, dass es nicht entscheidend sei, ob Ausbildende meinen, genug zu loben und häufig Feedback zu geben. „Fragen Sie die Nachwuchskräfte, wie es bei ihnen ankommt“, rät er den Zuständigen.
Je eher, desto besser, meint auch Björn Woywod, Leiter der Abteilung Ausbildungsberatung bei der Handwerkskammer (HWK) Dortmund. „Von den bei uns aufgelösten Verträgen wird ein Drittel in der Probezeit abgebrochen.“ Also in der Findungsphase, in der häufig Hilfe und Orientierung fehlen würden.
Ein Grund, warum Ausbildungen nicht beendet werden, ist laut Richter auch die Corona-Zeit. „Durch die Pandemie sind viele Berufsorientierungsmaßnahmen ausgefallen. Die Jugendlichen haben deshalb einen gewissen Nachholbedarf, müssen sich ausprobieren.“
„Viele Probleme lassen sich lösen“
„Bevor die Jugendlichen die Reißleine ziehen, sollten sie sich unbedingt Hilfe holen“, meint Hans-Ulrich Koch, Teamleiter Berufsberatung bei der Agentur für Arbeit Hannover. „Viele Probleme lassen sich lösen.“
Mitunter gehe es aber auch um Missverständnisse: „Die Jugendlichen müssen verstehen, dass sie nicht mehr in der Schule sind, wo sie mal die Hausaufgaben vergessen können.“ Im Betrieb gelte es auch für Azubis, Verantwortung zu übernehmen. „Nicht zuletzt gehört dazu auch, dass man pünktlich auf der Baustelle ist.“
Wo es Hilfe gibt
- Es gibt zahlreiche kostenlose Hilfsangebote, zum Beispiel die Berufsberatung. „Sie ist ein flächendeckendes Angebot der Agentur für Arbeit“, erklärt Koch. „So kann eine Assistierte Ausbildung (AsA) beantragt werden. Dabei bekommen Azubis Nachhilfe, Unterstützung für die Prüfungsvorbereitung oder bei persönlichen Problemen in der Ausbildung. Zudem steht dem Jugendlichen ein persönlicher Ansprechpartner zur Seite.“
- Auch die Ausbildungsberatung der zuständigen Kammer unterstützt die Azubis: „Hier vermitteln Leute, die sich gut in den Branchen auskennen – viele Probleme deshalb besser verstehen, als Berufsfremde“, sagt Silke Richter von der IHK Hannover.
- Ebenfalls hilfreich: die Ehrenamtlichen der Initiative VerA (Verhinderung von Ausbildungsabbrüchen). „Sie haben langjährige Berufserfahrung und wissen, wie Konflikte zu lösen sind“, sagt Björn Woywod von der HWK Dortmund.
- Erfolgreich könne am Ende auch der Schlichtungsausschuss der Kammern sein. „Ein ehrenamtlicher Ausschuss, in dem Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter sitzen“, erklärt Richter. „Wenn die Situation etwas verfahrener ist, dann hilft häufig dieser neutrale Blick von außen.“
Und wenn gar nichts hilft? „Dann sollten Betrieb und Jugendlicher als letzte Option gemeinsam überlegen, wie eine Neuorientierung erfolgen kann – ohne schlechtes Gewissen“, meint Richter.