Neue HAZ-Serie

Adel in Niedersachsen: Eine Spurensuche im Haus Schaumburg-Lippe

Das Schloss Bückeburg.

Das Schloss Bückeburg.

Bückeburg. War da was? Umsturz? Kaiser abgedankt? Republik ausgerufen?

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1918 herrschte Revolution in deutschen Landen. Und es dauerte bis zum August 1919, bis die Weimarer Republik eine vom Reichspräsidenten unterschriebene Verfassung besaß. Während dieser Zeit, heute vor 100 Jahren, war in ganz Deutschland die erste Sorge von Aktivisten, Aufständischen und Politikern, wie sie den Monarchen möglichst einfach die Herrschaft abnehmen und welche Rechte sie selbst in der neuen Staatsform haben würden.

In ganz Deutschland? In fast ganz Deutschland. In einem Kleinstaat – einem ziemlich kleinen Kleinstaat – schien das alles überhaupt nicht so wichtig zu sein. Lange sah es sogar so aus, als wollte dort überhaupt niemand den Fürsten loswerden.

Adolf II, Fürst zu Schaumburg-Lippe

Adolf II., Fürst zu Schaumburg-Lippe

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Dieser Fürst hieß Adolf II. zu Schaumburg-Lippe und residierte in Bückeburg. Sein Reich war im 17. Jahrhundert durch die Aufteilung der Grafschaft Schaumburg in einen hessischen und einen lippischen Teil entstanden. 1807 zum Fürstentum erhoben, hoffte der damalige Regent Georg Wilhelm, Urgroßvater von Adolf II., auf eine Chance zur Gebietserweiterung. Die gab es nicht, aber auch eine in Bückeburg befürchtete Annexion des Fürstentums blieb aus. Karl Heinz Schneider, Geschichtsprofessor an der Leibniz-Uni Hannover und bestens vertraut mit der Geschichte des Fürstentums, sagt: „Der Kleinstaat war eigentlich überholt. Aber er existierte weiter.“

Enge Beziehung zu Preußen

Der Kleinstaat konnte das, weil er, wie Schneider erzählt, von Preußen abhängig war. Die Kontakte waren eng, Gesetze wurden oft wortgleich übernommen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, der Regent hieß Adolf I. Georg, achtete das Fürstenhaus auf seinen finanziellen Wohlstand, indem es sich seinen Anteil an Bergwerken und Wäldern sicherte, während Schaumburg-Lippe nur wenig Steuereinnahmen zu verzeichnen hatte. Das Land war in zunehmendem Maße von Zuwendungen des Fürsten abhängig.

Es gab um die damalige Jahrhundertwende eine Besonderheit in dem Territorium, das nur halb so groß war wie der heutige Landkreis Schaumburg, nämlich 340 Quadratkilometer, und nur etwa ein Drittel der Einwohnerzahl wie der heutige Landkreis hatte, nämlich rund 45.000: Trotz des weitgehend ländlichen Charakters des Fürstentums hatte sich dort seit den frühen 1890er Jahren eine Arbeiterbewegung entwickelt, die vor allem von den Beschäftigten im Bergbau und in der Glasindustrie getragen wurde. Sie trat in den Dörfern „stark und selbstbewusst“ auf, sagt Schneider.

Das Wappen des Hauses Schaumburg-Lippe

Das Wappen des Hauses Schaumburg-Lippe.

Umsturz ohne Sturz

Bei den Reichstagswahlen 1912 wurde die SPD auch im provinziellen Schaumburg-Lippe stärkste Kraft. Es folgten der Ausbruch des Ersten Weltkriegs und das Kriegsende, es folgte der Umsturz im Reich. Doch in Schaumburg-Lippe war es sozusagen ein Umsturz ohne Sturz.

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Im November 1918 wurde in Bückeburg ein Volks- und Soldatenrat gegründet, an dem sich auch Bürgerliche beteiligten, Ähnliches geschah in Stadthagen. „Arbeiter, Soldaten und Bürger arbeiteten Hand in Hand“, berichtet Karl Heinz Schneider. „Aber an eine Abdankung des Fürsten dachte niemand.“

Einer der Hauptakteure damals hieß Heinrich Lorenz, ursprünglich Glasmacher und Gastwirt, schon von 1902 an SPD-Landtagsabgeordneter und später zeitweise Chef der Landesregierung. Er wollte eine Veränderung der Machtverhältnisse. Aber er wollte auch die Monarchie retten. Er war ein „Hof-Sozialdemokrat“, wie Schneider sagt.

Heinrich Lorenz, SPD-Politiker in Schaumburg-Lippe zur Zeit der Fürstenabdankung

Heinrich Lorenz, SPD-Politiker in Schaumburg-Lippe zur Zeit der Fürstenabdankung.

Der seltsame Zustand dauerte an, bis am 14. November ein Telegramm der Bielefelder SPD eintraf, die damals den schaumburg-lippischen Parteigliederungen übergeordnet war. In dem Telegramm wurde Absetzung des Fürsten von außen samt Schutzhaft angedroht, sollte Lorenz nicht sofort für den Rückzug des Regenten sorgen. Lorenz wollte immer noch nicht – doch Adolf II. dankte schließlich einen Tag später von selbst ab. Er hatte begriffen, dass das Ende der Monarchie in Deutschland gekommen war.

Warum aber gab es in Bückeburg eine Revolution sozusagen mit angezogener Handbremse? Historiker Schneider vermutet: Weil es den Leuten im Land gut ging. Schaumburg-Lippe hatte keine großen Kriegsfolgen zu beklagen, der Selbstversorgungsgrad war hoch, viele Bergleute waren, weil ihre Arbeit kriegswichtig war, nicht eingezogen worden. Der Staatshaushalt war zwar notorisch klamm, war auf großzügige Zuschüsse des Fürsten angewiesen – aber das war er schon seit 100 Jahren, und die Zuschüsse kamen ja. Während der deutsche Kaiser an Ansehen verlor, war der Fürst in Bückeburg geachtet und beliebt.

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In einem Vortrag zur Landesgeschichte hat Karl Heinz Schneider vor einiger Zeit dargelegt, dass „eine politische Herrschaft, selbst wenn sie im Gegensatz zu emanzipatorischen Konzepten steht, wie sie von der Arbeiterbewegung verfolgt wurden, dann verteidigt wird, wenn sie die Kernaufgaben, das heißt die Sicherung der Lebensverhältnisse der Bürger, zumindest subjektiv erfolgreich wahrgenommen hat“.

Kein Geld ohne Fürst

Nach normalen Maßstäben wäre Schaumburg-Lippe ohne den Fürsten pleite gewesen. Der Landeshaushalt 1914 belief sich auf eine Gesamtsumme von einer Million Mark. Nur 48 Prozent davon konnten aus Steuern bestritten werden, und das war für schaumburg-lippische Verhältnisse schon außerordentlich viel. Die Trennung von Fürsten- und Landeskasse war ein ewiges Geziehe gewesen.

Der 2012 verstorbene Bückeburger Geschichtswissenschaftler Helge Bei der Wieden hat in einer Abhandlung zu dem Thema notiert, dass ein Landesherr vor der Neuzeit sein gesamtes Territorium und alles, was damit zusammenhing, als sein Eigentum betrachtete. Schon um 1800 hatte man in Schaumburg-Lippe begonnen, sich mit einer Aufteilung der Finanzen zu befassen. Es wurde um Offenlegung von Vermögensverhältnissen und um Verteilung von Einkünften und Besitz und darum gestritten, wie viel Geld dem Fürstenhaus für seinen Lebenswandel zustand. Auch der Erste Weltkrieg und die Kaiserabdankung störten die Verhandlungen nicht, und schließlich, am 12. November 1918, stimmte der Landtag einer Vereinbarung zu, derzufolge die Hälfte des Staatshaushalts aus dem Domanium (das ist das Fürsteneigentum) bestritten werden solle. Drei Tage später verzichtete Fürst Adolf II. auf seinen Thron. Die Vereinbarung war von der Zeit überholt worden.

Noch nach der Abdankung, im Jahr 1919, überwies der Fürst dem Land eine Million Reichsmark, sonst wäre der Haushalt kollabiert. Im Gegenzug erwartete er, in den Besitz der Schlösser zu kommen. Nun gab es doch Stimmen, die die Enteignung des Fürsten und eine Sozialisierung seines Vermögens forderten. 1920 einigte man sich schließlich dergestalt, dass der Freistaat Schaumburg-Lippe die Hälfte des Ackerlandes und des Waldbesitzes überschrieben bekam, obendrein zwei Drittel des Anteils am Steinkohlebergwerk Obernkirchen. Auch das Schloss in Stadthagen und das Landgerichtsgebäude in Bückeburg fielen an den Staat.

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Das Fürstenhaus Schaumburg-Lippe musste weitaus weniger abgeben als andere Regenten. Aber, hieß es bei Helge Bei der Wieden: „Das Land hat im 19. Jahrhundert von seinem Herrscherhaus gelebt, nicht umgekehrt.“

Der naheliegende Anschluss an Preußen stieß bei den Schaumburg-Lippern auf nur sehr begrenzte Gegenliebe. In einer Volksabstimmung 1926 votierten 53,3 Prozent der Bürger dagegen. Auch die nötige Zweidrittelmehrheit im Landtag kam nicht zustande. Hier kann man als Grund wieder die ökonomische Situation vermuten: „Dem Land ging es bis Mitte der 1920er Jahre nicht wirklich schlecht“, sagt Karl Heinz Schneider.

Die NSDAP fackelte nicht lange

Bei den Landtagswahlen 1931 verfehlte die SPD zwar die absolute Mehrheit und musste mit den linksliberalen Bürgerlichen koalieren. Bei den Reichstagswahlen im selben Jahr konnte die NSDAP das sozialdemokratische Milieu in Schaumburg-Lippe aber nicht knacken. Auch bei den Wahlen 1933 errang die SPD noch fast 40 Prozent. Schneider glaubt, dass die Sozialdemokraten in der „Roten Provinz“ ihren Kleinstaat bis zum Schluss als Chance verstanden, eine selbstbestimmte Politik zu betreiben.

Aber 1933 endete ohnehin jegliche Form von Selbstbestimmung. Anders als die Revolutionäre 15 Jahre zuvor zögerten die Nazis nach der Machtübernahme keine Sekunde. Regierungschef Heinrich Lorenz wurde abgesetzt, der Landtag aufgelöst.

Einige Mitglieder des ehemaligen Fürstenhauses fanden übrigens deutliches Gefallen an der NSDAP. Friedrich-Christian Prinz zu Schaumburg-Lippe beispielsweise, jüngster Bruder von Adolf II., wurde persönlicher Referent von NS-Propagandaminister Joseph Goebbels.

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Der Kampf des Großneffen

Er ficht unermüdlich seinen Kampf. Alexander vom Hofe, Rechtsanwalt in Madrid, Großneffe des letzten regierenden schaumburg-lippischen Fürsten Adolf II., legt sich immer wieder mit seiner Familie an. Der Hintergrund: Adolf II. kam 18 Jahre nach seiner Abdankung bei einem Flugzeugabsturz in Mexiko ums Leben. Adolf hatte mehrere Brüder, einer davon war Wolrad Prinz zu Schaumburg-Lippe, der nach dem Unglück zum Haus-Chef avancierte. Alexander vom Hofe legt in einem Buch („Vier Prinzen zu Schaumburg-Lippe und das parallele Unrechtssystem“) dar, Wolrad habe das Vermögen der Familie an sich gerissen und die anderen Mitglieder übervorteilt.

Ein übervorteiltes Mitglied wäre Wolrads Bruder Heinrich gewesen – der Großvater von Alexander vom Hofe. Der Anwalt geißelt in seinem von Verschwörungstheorien durchsetzen Buch auch die Verflechtungen des Hauses Schaumburg-Lippe mit den Nazis; davon gab es nicht wenige. Die NSDAP soll ihrem Mitglied Wolrad auch bei der von vom Hofe angeprangerten Erbmauschelei geholfen haben.

Vom Hofe stellt außerdem die Frage, ob beim Verkauf des Palais Schaumburg in Bonn – der spätere Dienstsitz des Bundeskanzlers war 1894 von der Familie erworben und 1939 für 700000 Reichsmark ans Deutsche Reich und die Wehrmacht veräußert worden – alles mit rechten Dingen zuging. Alexander vom Hofe hat zweimal eine offizielle Prüfung der Akten beantragt, beide Male ist sie vom Grundbuchamt verworfen worden. Die Angelegenheit ist inzwischen laut vom Hofe beim Landgericht Bonn anhängig.

Von Bert Strebe

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