Urteil des Staatsgerichtshofs

AfD bekommt keinen Sitz im Gedenkstätten-Stiftungsrat

Die Stiftung ist auch für die Gedenkstätte auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Bergen-Belsen zuständig.

Die Stiftung ist auch für die Gedenkstätte auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Bergen-Belsen zuständig.

Bückeburg. Beim Sport hätten sie sich wahrscheinlich abgeklatscht. Die Vertreter der vier siegreichen Landtagsfraktionen versuchten erst gar nicht, ihre Freude über das Urteil des niedersächsischen Staatsgerichtshofs zu verbergen. Selbst wenn sie nach der Anhörung im Dezember in Bückeburg nichts anderes erwartet hatten. „Ich freue mich, dass unsere Auffassung bestätigt wurde“, jubelte FDP-Fraktionschef Stefan Birkner. Grünen-Parlamentsgeschäftsführer Helge Limburg räumte nach der Urteilsbegründung ein, dass er schon ein bisschen nervös gewesen sei.

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Kein Wunder, schließlich ging es in dem Verfahren um eine ganz heikle Frage: Hat die AfD-Fraktion ein Recht darauf, im Stiftungsrat der niedersächsischen Gedenkstätten vertreten zu sein? Das wollten die Rechtspopulisten mit ihrer Klage in Bückeburg erreichen. Jüdische Überlebende des Konzentrationslagers Bergen-Belsen hatten dagegen massiv protestiert, und die vier anderen Fraktionen wollten das deshalb unbedingt verhindern.

Klage unbegründet

Der zehnköpfige Stiftungsrat beschließt über die Satzung, den Haushalts- und Stellenplan, die Geschäftsordnung und die Entgeltordnung der Stiftung. Er beruft und überwacht zudem die Geschäftsführung. Die Holocaust-Überlebenden hatten befürchtet, dass mit der AfD Personen in den Stiftungsrat einziehen könnten, die den Holocaust verharmlosen oder leugnen und revisionistische oder antisemitische Meinungen vertreten. Überlebende aus Israel, Frankreich und den USA schrieben besorgte Briefe. Einige stellten ihre Mitarbeit in dem Gremium infrage.

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Der Präsident des Staatsgerichtshofs, Herwig van Nieuwland, benötigte zu Beginn der Urteilsverkündung nur drei Sätze, um die zarte Hoffnung der AfD auf einen juristischen Erfolg zunichte zu machen. „Der Antrag wird zurückgewiesen“, sagte er. „So knapp und eindeutig ist der Tenor.“ Die Klage sei unbegründet und teilweise unzulässig. Van Nieuwland begründete später das Urteil unter anderem damit, dass der Stiftungsrat kein Teil des Parlaments sei. Deshalb sei der Landtag „nicht verpflichtet, der AfD die Teilnahme zu ermöglichen“. Die Chancengleichheit der AfD-Fraktion werde dadurch nicht eingeschränkt.

Der Landtag hatte im Februar vergangenen Jahres mit den Stimmen von SPD, CDU, FDP und Grünen beschlossen, dass das Parlament vier Vertreter in den Stiftungsrat wählt – unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit. Zuvor konnte jede Fraktion einen Sitz beanspruchen. Gewählt wurden Vertreter von SPD, CDU, FDP und Grünen – mit überwältigender Mehrheit. Die AfD schickte auch einen Kandidaten ins Rennen, der allerdings nur die neun Stimmen aus der eigenen Fraktion bekam. Im Juni reichte die AfD Organklage beim Staatsgerichtshof ein.

„Mit der Änderung des Gedenkstätten-Gesetzes haben wir verhindert, dass die Opferverbände aus der Gedenkstättenarbeit aussteigen. Dass dies rechtens war, hat der Staatsgerichtshof heute bestätigt“, sagte CDU-Parlamentsgeschäftsführer Jens Nacke. Die SPD-Abgeordnete Wiebke Osigus sprach von einem „guten Tag“ für alle, die sich im Stiftungsrat engagierten. „Wir freuen uns, dass die Stiftung niedersächsischer Gedenkstätten sich jetzt wieder vollkommen auf ihre wichtige und hervorragende Arbeit für eine lebendige und vielfältige Erinnerungskultur konzentrieren kann“, erklärte Grünen-Politiker Limburg. Die Mitarbeit der Opferverbände im Stiftungsrat sei ist ein „bedeutender und unverzichtbarer Grundstein“ für die Gedenkstätten-Arbeit in Niedersachsen, erklärte Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD), zugleich auch Vorsitzender des Stiftungsrates.

Der Präsident der Jüdischen Gemeinden in Niedersachsen, Michael Fürst, reagierte erleichtert auf das Urteil. Er sprach von einer „guten Nachricht für die Überlebenden des Holocaust“. Auch für ihn wäre es unmöglich gewesen als Mitglied im Stiftungsrat neben einer Person sitzen zu müssen, die vielleicht den sechsmillionenfachen Mord an den Juden als „Vogelschiss der Geschichte“ und das Holocaust-Mahnmal in Berlin als „Mahnmal der Schande“ bezeichnen würde, sagte Fürst der HAZ. Nicht jeder AfD-Parlamentarier oder AfD-Wähler denke so oder sei ein Antisemit, aber solange die AfD solche Parlamentarier in ihren Reihen habe, gehöre sie nicht in die Gremien der Stiftung.

Der Geschäftsführer der Stiftung niedersächsischer Gedenkstätten, Jens-Christian Wagner, kritisierte die AfD scharf. Dass sie versuche, sich trotz eindeutiger Rechtslage und gegen den erklärten Willen der Überlebendenverbände in den Stiftungsrat einzuklagen, könne nur als „Angriff gegen die Gedenkstättenarbeit in Niedersachsen“ gewertet werden, erklärte Wagner. Im Stiftungsrat solle nur mitarbeiten, wer den gesetzlich definierten Stiftungszweck unterstütze. Das treffe auf die AfD-Landtagsfraktion nicht zu.

Die AfD selbst zeigte sich zerknirscht und kritisierte das Urteil. Es trage nicht zum Rechtsfrieden bei, sagte Parlamentsgeschäftsführer Klaus Wichmann der HAZ. Die Urteilsbegründung des Gerichts sei dünn. Die Chancengleichheit gelte offenbar nur für das Parlament und nicht in der Öffentlichkeit, sagte Wichmann. Weitere Rechtsmittel gebe es jedoch nicht.

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Von Marco Seng

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