Andretta fordert Wahlrechtsreform
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Vermisst Frauen in den Parlamenten: Niedersachsens Landtagspräsidentin Gabriele Andretta.
© Quelle: dpa
Der SPD-Landesvorsitzende Stephan Weil hat angesichts des Frauenmangels in den Parlamenten eine Änderung des Wahlrechts ins Spiel gebracht, die Einführung von Tandemlösungen in den Parlamenten, also jeweils ein Mann und eine Frau. Was halten Sie davon?
Natürlich sehr viel. Denn hundert Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts ist es doch ein Unding, dass sich die Dinge im Augenblick wieder rückwärts verschieben scheinen. Wir Frauen haben sehr viel erreicht, aber können doch nicht hinnehmen, dass die Männer die Mandate gleichsam nach altem Muster unter sich verteilen. Schon Jutta Limbach, die frühere Verfassungsgerichtspräsidentin hat gesagt, wir sind erst dann in guter Verfassung, wenn die Gleichstellung in den Parlamenten erreicht ist.
Aber nun ist es doch Auftrag der Parteien für eine ausreichende Repräsentanz von Frauen und Männern zu sorgen. Die Parteien tun es auch hier und da, in dem sie bei der Aufstellung von Wahllisten quotieren, die einen mehr, die anderen weniger, manche gar nicht...
Wir müssen heute über neue Wege diskutieren, weil wir leider feststellen, dass die freiwilligen Selbstverpflichtungen der Parteien nicht den Erfolg gebracht haben, den wir uns gewünscht haben. Das hängt natürlich mit unserem Wahlsystem zusammen, das neben den Listenplätzen noch die Direktkandidatinnen und Kandidaten kennt. In den Wahlkreisen sind es oft Männer, die sich durchsetzen. Deshalb diskutieren wir ja eine Änderung des Wahlrechts, für die einige verfassungsrechtliche Hürden zu nehmen sind. Aber ich bin sicher, dass das gelingen wird, denn die Tatsache, dass immer mehr Männer und immer weniger Frauen in den Parlamenten sitzen widerspricht dem Geist der Verfassung. Die fordert gleichberechtigte Teilhabe.
Wann kann man damit rechnen, dass so ein Parité-Gesetz nach französischem Vorbild in Niedersachsen Wirklichkeit wird?
Auch auf Landesebene kann so eine Wahlrechtsreform umgesetzt werden. Wir sollten aber wegen der Hürden, die zu nehmen sind, die Angelegenheit nicht übers Knie brechen. Ich denke zur nächsten Kommunalwahl 2021 oder zur Landtagswahl 2022 wird das noch nichts. Mein Plädoyer ist, diesen neuen Weg ernsthaft zu diskutieren und vorzubereiten. Der gute Wille allein reicht nicht. Angesichts der Rückschritte in unseren Parlamenten müssen wir etwas tun und können uns nicht weiter im Schneckentempo bewegen. Das sind wir auch unseren Vorkämpferinnen in der Frauenbewegung schuldig. Ich empfinde auch die Tatsache, dass ich als erste Frau an der Spitze des niedersächsischen Landesparlaments stehe als Selbstverpflichtung.
Sie beackern das Thema ja schon lange, haben etwa in der Feiertagsdiskussion den Weltfrauentag vorgeschlagen...
So ist es. Wir haben nun den Reformationstag bekommen und ich freue mich, dass der Ministerpräsident jetzt den Gedanken an notwendige Reformen vorantreibt, indem er den Gedanken des Parité-Gesetzes aufgegriffen hat.
Woran liegt es denn, dass sich so wenig Frauen für politische Ämter bewerben?
Das hängt auch mit politischen Leitbildern zusammen, die überkommen sind und sich nicht mehr an der Lebenswirklichkeit junger Frauen orientieren. Ich nenne da etwa die Vorstellung, dass man erst einmal eine Ochsentour durch die Partei machen und lange in Hinterzimmern gesessen haben muss. Der Gedanke, dass Frauen und Männer Kinder und Familie haben, kommt da nicht vor.
Wie groß ist die Gefahr, dass dieser neue Vorschlag nur eine Art Strohfeuer wird?
Ich bin optimistisch. Stephan Weil ist sich bewusst, seinen Worten auch Taten folgen lassen zu müssen. Was nützt das Wort, wenn die Tat nicht spricht? Im Übrigen liegt es auch an uns Frauen, diese Taten einzufordern. Ich bin sehr zuversichtlich, dass es einen großen gesellschaftlichen Konsens zur Frauenfrage gibt. Auch in der CDU gibt es bei der Frauen-Union einen großen großen Unmut über die mangelnde Repräsentanz.
Von Michael B. Berger
HAZ