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JVA Wolfenbüttel

Der Geruch der Unfreiheit

Häftling Carsten P. hat sich an das alte Gemäuer und seine winzige Zelle gewöhnt. Er muss noch bis 2018 in Wolfenbüttel einsitzen.Hagemann (4)

Häftling Carsten P. hat sich an das alte Gemäuer und seine winzige Zelle gewöhnt. Er muss noch bis 2018 in Wolfenbüttel einsitzen.Hagemann (4)

Wolfenbüttel. Es gibt Häuser, bei denen die Nase Alarm gibt, wenn man ihre Schwelle überschreitet. Das „Graue Haus“ in der Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel ist so ein Haus. Einst war es mit seinen Einzelzellen das modernste Gefängnis im Lande Braunschweig, heute ist es eine der ältesten Anstalten in Niedersachsen - und hat seine ganz eigene Ausstrahlung. „So riecht Gefängnis“, sagt Dieter Münzebrock zum leichten Keller- und Schweißgeruch. Der 56-Jährige ist hier Anstaltsleiter. Das „Graue Haus“ ist ein dreistöckiger Galeriebau, an dessen Seiten viele Türen in viele Einzelzellen führen. Bei Regisseuren sei es sehr beliebt, erläutert der Herr dieser Spielstätte, die Wolfenbütteler Bürger kaum von innen kennen: „Til Schweiger hat hier seine ,Bunten Hunde‘ gedreht.“

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Das 1873 bezogene Gefängnis gilt beim Justizpersonal wie bei den Häftlingen als wenig attraktiv. „Wir sind heilfroh, endlich sanieren zu können“, sagt der Gefängnischef. Für gut 15 Millionen Euro, so hat Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz angepeilt, soll der alte Kasten auf menschenwürdige Maßstäbe gebracht werden. Die Justizministerin war bei ihrem ersten Besuch geradezu entsetzt von den baulichen Verhältnissen. „In Zellen zu leben, wo es Abendessen neben der Kloschüssel gibt - das ist völlig indiskutabel“, sagt die Ministerin. „Hart an der Menschenwürde“, schiebt sie noch nach. Und das an einem Ort, wo nebenan noch eine Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus untergebracht sei - das geht nach Niewisch-Lennartz Worten gar nicht: „Da müssen wir etwas tun!“

Acht Quadratmeter umbaute Trostlosigkeit: Zelle 22, einst Todeszelle, heute Sicherheitsraum.

Acht Quadratmeter umbaute Trostlosigkeit: Zelle 22, einst Todeszelle, heute Sicherheitsraum.

„Das hier“, sagt Dieter Münzebrock, „war einst die Todeszelle. Da sind im Dritten Reich die Todeskandidaten untergebracht worden“. Hinter einer alten Holztür mit der Nummer 22, befindet sich noch eine Gittertür. Dahinter acht Quadratmeter umbauter Trostlosigkeit. Ein Klobecken aus Stahl, ein Waschbecken aus Stahl, ein Stahlbett. Sonst nichts. Die Zelle 22 in der Justizvollzugsanstalt (JVA) werde hin und wieder noch gebraucht, sagt der Anstaltsleiter: „Wir nutzen das als Sicherheitsraum für Gefangene, die aggressiv werden.“

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Häftling Carsten P., der bereitwillig seine kleine Zelle zeigt, gehört nicht dazu. Er, der erst kurz hier ist und bis 2018 einsitzen muss, hat sich an das alte Gemäuer sogar gewöhnt. „Besser als die JVA Hannover“, findet er. „Hier geht doch ständig etwas kaputt, gut, dass das bald ein Ende hat“, sagt JVA-Bediensteter Detlef Köchy.

Das „Graue Haus“ ist nur einer von mehreren mächtigen Gefängnisbauten, die sich in Wolfenbüttels befinden. Bis zu 397 Insassen können hier untergebracht werden - in einer riesigen Anlage, die man in der pittoresken Altstadt kaum wahrnimmt, da sie hinter ehrwürdigen Festungsmauern verborgen ist. „780 Meter Mauer“, sagt JVA-Chef Münzebrock. Er muss viele Türen auf- und zuschließen, bis er auf einem riesigen, umbauten Innenhof landet, auf dem gleich mehrere Zellengebäude aus verschiedenen Jahrhunderten stehen. Dem „Grauen Haus“ gegenüber liegt ein ähnlicher Bau, das 1882 errichtete „Rote Haus“. „Wenn Sie sehen wollen, wie es nach der Renovierung aussehen kann, kommen Sie mit“, sagt der Gefängnisdirektor und schreitet voraus.

So sehen die sanierten  Zellen aus.

So sehen die sanierten  Zellen aus.

Galerien finden sich auch hier in dem 1997 sanierten Gebäude. Aber der leichte Modergeruch ist verschwunden. Auch kein Plätschern ist zu hören, das im „Grauen Haus“ von den Wasserspülungen über den Zellentüren stammt. Im „Roten Haus“ hat man aus drei Zellen zwei gemacht. Die Räume sind mit acht Quadratmetern immer noch klein. Sie haben aber Platz für einen Schreibtisch, Regale, einen Fernseher, ein Telefon und ein Bett - aber sie bieten vor allem eines, was es drüben nicht gibt: Raum für Intimität. Es gibt hier Einzelduschen. „Komfort ist nicht unsere Motivation - es geht in erster Linie um Gewaltprävention“, sagt der Gefängnisdirektor. Und ein muffiger großer Gemeinschaftsduschraum im Keller, wie er sich etwa noch im unrenovierten Teil befindet, bleibe ein Risiko. „Viele wollen hier nicht duschen, sei es aus Scham, sei es aus Angst. Das wird manchmal schon ein hygienisches Problem.“

Zum Sicherheitsgefühl der Gefangenen zählen auch Schlösser in den Stahltüren im „Roten Haus“, mit der die Häftlinge nachts selbst absperren können. Natürlich gehören auch videoüberwachte Räume und wesentlich größere Einsichtsmöglichkeiten für das JVA-Personal dazu. Im Keller sind wesentlich freundlichere Räume als im grauem Gegenüber, auch wieder videoüberwacht. „Wir stellen hier peu à peu vom Kraftsport auf Fitness um - Kampfsportarten sind natürlich tabu“, sagt der Gefängnisdirektor. Überhaupt sei es wichtig, die Leute zu beschäftigen, weiß Münzebrock. Arbeit sei in der JVA Pflicht - und auch beliebt. „Viele lernen hier erst arbeiten.“ Die meisten holten in der JVA ihren Hauptschulabschluss nach, besonders beliebt seien Kurse in Gabelstabler- oder Radladerfahren. Neben der Gefängniskirche steht so ein Übungsgerät. Die Kirche werde übrigens in der Woche zur Turnhalle“, erklärt der Direktor: „Wir nutzen hier alle Räume.“

Das Mahnmal

Inmitten der Wolfenbütteler Gefängnisanlage befindet sich eine Gedenkstätte. Sie erinnert an das Strafgefängnis Wolfenbüttel, in dem zwischen Oktober 1937 und dem März 1945 mehr als 700 Menschen als Opfer der NS-Justiz hingerichtet worden sind. Der rote Klinkerbau hat einen kleinen Glockenturm. Die Todesglocke läutete damals, wenn deutsche Zivilisten hingerichtet wurden, die dem Terrorregime die Stirn boten. Aber auch ausländische Zwangsarbeiter, Sinti, Roma und Juden wurden in der Gefängnisanlage hingerichtet – mit der Guillotine oder mit dem Strang. Von Juni 1945 bis Juli 1947 wurden hier im Auftrag der britischen Militärregierung 67 Todesurteile gegen Deutsche und Ausländer vollstreckt – zumeist wegen Kriegsverbrechen. Die Gedenkstätte ist nicht öffentlich zugänglich, sondern nur nach Voranmeldung zu besichtigen (Tel.: 0 53 31 / 80 72 44 oder unter gedenkstaettejvawolfenbuettel@stiftung-ng.de).

HAZ

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