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Transplantationsskandal

„Der Mann hat Gott gespielt“

Foto: Der angeklagte Mediziner (Mitte) steht am Montag zwischen seinen Verteidigern Ulf Haumann, Jürgen Hoppe und Steffen Stern (von links).

Der angeklagte Mediziner (Mitte) steht am Montag zwischen seinen Verteidigern Ulf Haumann, Jürgen Hoppe und Steffen Stern (von links).dpa

Göttingen. Nach eineinhalb Stunden ist der Moment erreicht, an dem es für Aiman O., einst renommierter Transplantationsmediziner und jetzt Angeklagter, nicht weiter geht. Gerade hat der Leberchirurg aus Göttingen erklärt, dass das Patientenwohl für ihn immer vor gehe. Spekulationen, er habe die Zahl der Transplantationen steigern wollen, um Bonuszahlungen zu erhalten, wies er zurück. Dann sagt er: „Das ist meine Liebe zum Beruf, zu Menschen und zum Leben“. Dann bricht seine Stimme; eine Pause ist nötig.

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Was ihm die Staatsanwaltschaft vorwirft, hat den 46-Jährigen sichtlich aus der Fassung gebracht. Zwar hat seine Verteidigung schriftlich gegenüber der Presse alles zurückgewiesen. Zwar vermittelt auch er den Eindruck, dass er alle Vorwürfe als falsch und ungeheuerlich empfindet und dass es vielmehr das widersprüchliche Vergabesystem sei, das ihn in diese Lage gebracht hat. Doch konkret zu den 14 Anklagepunkten äußert er sich nicht. Diese wiegen schwer: In elf Fällen, so liest es Oberstaatsanwältin Hildegard Wolff mit Patientennamen und allen einzelnen Schritten bis zur Transplantation vor, habe er Menschen operiert, die nach den Regeln der Bundesärztekammer und der europäischen Vergabestelle für Spenderorgane Eurotransplant noch nicht an der Reihe gewesen wären. Ein Mitarbeiter der Deutschen Stiftung Organspende, der hinten im Zuschauerraum sitzt, hat bereits eine klare Meinung: „Der Mann hat Gott gespielt“, sagt er nach der Anklageverlesung empört. Er habe falsche Angaben über die Notwendigkeit von Dialyse (Blutreinigung) gemacht, habe in anderen Fällen Patienten transplantiert, obwohl sie noch nicht seit sechs Monaten alkoholabstinent waren.

Und er habe bewusst falsche Laborwerte melden lassen, um Patienten zu einem besseren Meld-Score, einer Rangliste zur Erfassung des Schweregrads von Lebererkrankungen, zu verhelfen. Dieser Wert - je höher, umso schneller die Zuteilung eines Organs - reicht von sechs bis 42. Laut Anklage sollen Patienten einen Score von 17 oder 20 gehabt haben, seien durch die Manipulationen aber auf 40 gekommen und hätten deshalb noch am selben Tag eine Spenderleber erhalten.

Im Fall eines russischen Patienten habe O. durch Falschangaben diesen auf Rang zwei der Liste gehievt, obwohl er eigentlich auf Rang 34 gelegen hätte. Weil er dadurch den Tod wartender Patienten billigend in Kauf genommen habe, wird Aiman O. elffach versuchter Totschlag vorgeworfen. Schließlich breitete die Anklage das Schicksal dreier Patienten aus, die nach der Transplantation durch O. gestorben waren. In ihren Fällen soll er transplantiert haben, nur weil sich die Gelegenheit ergeben habe, eine Leber kurzfristig zu erhalten. Dies bestreitet der Angeklagte vehement. Jeder Patient auf seiner Warteliste habe eine neue Leber zwingend benötigt, auch wenn er aktuell weniger Beschwerden hatte. Es sei ihm stets ums Wohl der Patienten gegangen.

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Der Prozess wird am Freitag in Göttingen fortgesetzt.

HAZ

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