Der Mann mit dem Lächeln ist tot
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Ernst Albrecht im Jahr 2005 in seinem Wohnhaus in Beinhorn.
© Quelle: Holger Hollemann
Burgdorf. Er fürchtete sich nicht vor dem Sterben, sondern sehnte oft seinen Tod herbei. Am Sonnabend wurde ihm dieser Wunsch erfüllt. Ihr Vater Ernst Albrecht habe nicht leiden müssen und sei "ganz schnell und ganz friedlich" gestorben, teilte seine Tochter Ursula von der Leyen mit. Die Verteidigungsministerin wurde während eines Truppenbesuchs bei den deutschen Soldaten in Afghanistan von der traurigen Nachricht überrascht. "Mein Vater hat ein sehr erfülltes, langes Leben gehabt", sagte von der Leyen. Insofern sei sie "eher von Dankbarkeit als von Trauer erfüllt".
Ernst Albrecht war von 1976 bis 1990 Ministerpräsident in Niedersachsen und in dieser Zeit einer der führenden CDU-Politiker in Deutschland. Er litt seit mehr als sechs Jahren an Alzheimer und lebte zurückgezogen mit der Familie seiner Tochter auf seinem Anwesen in Beinhorn bei Burgdorf. Dort fühlte er sich geborgen, dort war er dem Grab seiner im Jahre 2002 verstorbenen Ehefrau Heidi-Adele sehr nah. So lange es sein Gesundheit zuließ, widmete er sich seinem Grundstück und einer stattlichen Zahl von Tieren.
Nach seiner Wahlniederlage 1990 gegen Gerhard Schröder (SPD) zog sich Albrecht sofort aus der Politik zurück. Er widmete sich fortan dem Aufbau der Wirtschaft in Sachsen-Anhalt, wo er ein Stahlwerk in Thale vor dem Zusammenbruch bewahrte und aktiv zur Sanierung maroder Innenstädte beitrug. Zunächst hielt er sich von allen Veranstaltungen seiner Partei fern, doch als seine Tochter in die Landespolitik einstieg und von Ministerpräsident Christian Wulff als Sozialministerin ins Kabinett geholt wurde, gab er seine Zurückhaltung auf und zeigte sich gern auf Parteitagen. Allerdings hielt er sich dabei stets an die selbst gesetzte Maxime: "Zur aktuellen Tagespolitik äußere ich mich nicht." Auch für Talkshows war der Ministerpräsident a.D. nicht zu haben.
Als die CDU zum 80. Geburtstag des gebürtigen Bremers im Juni 2010 im Gästehaus der Landesregierung einen kleinen Empfang gab, zeigte sich bereits, wie weit seine Erkrankung fortgeschritten war. Selbst engste Weggefährten und ehemalige Mitglieder der von ihm geführten Landesregierungen erkannte er nicht. Doch an seine Zeit bei der Europäischen Gemeinschaft in Brüssel und an seine Jugend erinnerte er sich sehr lebhaft.
„Shootingstar“ der CDU
Auf Wunsch des damaligen CDU-Landesvorsitzenden Wilfried Hasselmann wechselte Albrecht in den siebziger Jahren in die niedersächsische Landespolitik – und wurde völlig überraschend im Februar 1976 mit Stimmen aus dem sozial-liberalen Lager zum Regierungschef gewählt. Plötzlich war er so etwas wie der „Shootingstar“ der CDU, sein Markenzeichen war ein Dauerlächeln, das viele als freundlich, andere als aufgesetzt empfanden.
Albrecht reduzierte seine Arbeit nicht auf das Regieren in Hannover, sondern mischte sich sofort mit großem Engagement in die Bundespolitik ein. Er ermöglichte die Ratifizierung der Ostverträge und schuf so die Grundlage für die Aussöhnung mit Polen. Als überzeugter Christ holte er 1978 mehr als Tausend vietnamesische Bootsflüchtlinge nach Niedersachsen. Mit Albrechts Hilfe wurden sie vor dem Ertrinken im Chinesischen Meer gerettet. Auch das trug nachhaltig zu seiner Popularität bei. 1980 wäre er beinahe Kanzlerkandidat der CDU geworden, doch Franz Josef Strauß setzte sich in der Union gegen ihn durch. Nach dem Regierungswechsel 1982 in Bonn, als Helmut Kohl Bundeskanzler Helmut Schmidt ablöste, nahm Albrecht in der Führungsspitze der CDU oft eine kritische Position gegenüber Kohl ein – mit der Folge, dass ihm in Bonn viele Parteifreunde mit Misstrauen begegneten, während ihn andere ermunterten, Kohl als Parteichef abzulösen.
Distanz zu den Menschen
Albrechts Rolle in Niedersachsen war oft von Distanz zu den Menschen geprägt. Das Volkstümliche überließ er gern seinem Freund Hasselmann. Diszipliniert wie kaum ein anderer widmete sich Albrecht dem wirtschaftlichen Aufschwung und den Forschungseinrichtungen im Lande. Erst in der Schlussphase seiner Regierungszeit geriet sein Ansehen in Verruf, etwa als die Landesregierung versuchte, durch einen vorgetäuschten Anschlag auf das Celler Gefängnis einen V-Mann in das Umfeld der Terroristen der Rote-Arme-Fraktion einzuschleusen oder die sogenannte Spielbank-Affäre das politische Leben in Niedersachsen erschütterte.
Seine Energiepolitik und das Eintreten für atomare Entsorgungseinrichtungen in Gorleben brachten Albrecht viel Widerstand ein. Resigniert musste er eingestehen, dass der Bau einer atomaren Wiederaufarbeitungsanlage im Wendland „technisch machbar, aber politisch nicht durchsetzbar“ sei.
Auf die Frage, woraus er die Kraft schöpfe für sein großes politisches Engagement, antwortete der Volkswirt stets mit dem Hinweis auf sein Familienleben, seinen christlichen Glauben und seine Verbundenheit mit der Natur und der Jagd. Zuletzt lebte er, wie seine Tochter kürzlich berichtete, in seiner eigenen Welt, geprägt von der Krankheit und der Sehnsucht, an der Seite seiner Frau begraben zu werden.
Reaktionen auf den Tod von Ernst Albrecht
Joachim Gauck, Bundespräsident: „Ein Mann von großer Gestaltungskraft. Er hat sich auf europäischer Ebene, in der Landes- und Bundespolitik und auch als erfolgreicher Unternehmer um das Wohl seiner Mitbürgerinnen und Mitbürger sehr verdient gemacht“
Werner M. Bahlsen, Keksfabrikant: „Ernst Albrecht hat in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit einen prägenden Beitrag für den Erfolg unseres Unternehmens geleistet. Dafür sind wir ihm sehr dankbar. Ich habe Ernst Albrecht als beeindruckende Persönlichkeit kennengelernt, dessen Rat ich auch über seine aktive Zeit bei Bahlsen hinaus immer geschätzt habe.“
Angela Merkel, Bundeskanzlerin: „Sturmfest und erdverwachsen - so machte Ernst Albrecht mit Einsatz, mit Kraft und mit Herz Politik für die Menschen.“
Stephan Weil, Niedersachsens Ministerpräsident: „Unter Ernst Albrecht wurde Niedersachsen 1979 zu einem der ersten Länder im Westen, das sich bereit erklärte, vietnamesische Bootsflüchtlinge aufzunehmen. Als überzeugter Europäer hat Albrecht sich zudem bleibende Verdienste um die deutsch-polnische Aussöhnung erworben.“
Ralf Meister, Hannovers Landesbischof: „Er war einer der bedeutendsten Politiker Niedersachsens. Albrecht war seiner Landeskirche und besonders dem Geistlichen Rüstzentrum Krelingen sehr verbunden und hat seinen christlichen Glauben persönlich gelebt. Besonders beeindruckt hat mich seine Haltung, als er 1978 den Flüchtlingen aus Vietnam zusagte, dass sie in eine Land kämen, in dem sie keine Furcht haben müssten.“
David McAllister, Vorsitzender der Niedersachsen-CDU: „Wir verlieren mit ihm eine starke Persönlichkeit und einen großartigen Politiker. Er hat in seiner Amtszeit enorm viel Positives für die Menschen und für das Land erreicht.“
HAZ