Hunteburg 1966

Dies war eine der spektakulärsten Verbrecherjagden des Landes

Aus dem Archiv: Bruno Fabeyer wird am 24. Februar 1967 in Kassel von Polizeibeamten in Handschellen abgeführt. 

Aus dem Archiv: Bruno Fabeyer wird am 24. Februar 1967 in Kassel von Polizeibeamten in Handschellen abgeführt.

Hunteburg. Sie habe das alte Radio immer noch, sagt Anny Gäfe. Es funktioniere gar nicht mehr, es krache bloß, eigentlich könne sie es wegwerfen. Sie holt es, es ist ein Blaupunkt Derby, seinerzeit der letzte Schrei. Sie schaltet es ein – und es läuft. Es knistert. Aber es läuft. Wie damals, 1966, inmitten all der Angst und Aufregung, als sie den Polizeifunk damit abgehört hat.

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Sie ist seinerzeit beim Sport gewesen, eine junge Frau von 31 Jahren, die in dem Dörfchen Hunteburg im Osnabrücker Land das Büro des Steuerberaters leitete. Jemand kam und sagte, der Fabeyer habe den Brüggemann erschossen. Eine andere Frau aus dem Kurs brachte Anny Gäfe mit dem Auto heim, zu dem Haus, in dem sie heute noch lebt. „Ich hätte nicht zu Fuß gehen mögen“, sagt die 82-Jährige. „Wir hatten alle solche Angst.“

Vor Bruno Fabeyer, 1926 in Osnabrück geboren, konnte man auch Angst haben. Er war das, was man damals einen Gewohnheitsverbrecher nannte. In und um Osnabrück kannte er jedes Moor, jeden Schleichweg. Er brach irgendwo ein, klaute Essen und Schokolade und Kleidungsstücke und verschwand wieder in den Wäldern. Und jeder kannte seinen Namen, Fabeyer wurde überall gesucht. Um die 200 Diebstähle pro Jahr wurden ihm zur Last gelegt.

Am 29. Dezember 1965 stieg Bruno Fabeyer nachts in das Haus eines Postbeamten ein und traf dort auf die 20-jährige Tochter. Er bedrängte das Mädchen, es schrie, der Vater wurde wach. Fabeyer, der immer ein abgesägtes Kleinkalibergewehr bei sich trug, schoss sofort. Der Mann wurde schwer verletzt.

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Fabeyer konnte fliehen. Aber knapp zwei Monate später saß ein gut gelaunter Herr in der Gaststätte Heemann in Hunteburg. Die Wirtin erkannte Fabeyer, 1,75 Meter groß, schlank, mittelblond.

Panik in Hunteburg

Als Dorfpolizist Heinrich Brüggemann auftauchte, war Fabeyer soeben aufgebrochen. Der Polizist verfolgte ihn, Fabeyer drehte sich um und feuerte. Dreimal. Brüggemann, Polizeiobermeister, 46 Jahre alt, verheiratet, Vater von vier Kindern, starb am Abend des 24. Februar 1966 auf dem Weg ins Krankenhaus.

Fabeyer entkam wieder. In Hunteburg breitete sich Panik aus. Anny Gäfe ließ sich vom Nachbarsjungen Karl-Heinz, dessen Eltern ein Radiogeschäft hatten, das Blaupunkt Derby so einstellen, dass sie den Polizeifunk abhören konnte. Sie hatte zwar auch Angst, beim Funkabhören erwischt zu werden: „Ich hab‘ dem Karl-Heinz gesagt: Wenn ich dafür in den Knast gehe, gehst du mit“, erzählt sie. Die Angst vor Fabeyer war größer.

Als Bruno Fabeyer sechs Jahre alt war, ließen sich seine Eltern scheiden, als er acht war, erhängte sich sein Vater in einer Gefängniszelle. Fabeyer kam ins Heim, man schlug ihn. Sein Bruder wurde wegen Fahnenflucht enthauptet. Fabeyer selbst setzte sich auch vom Militär ab, wurde dafür ins KZ Buchenwald gesperrt. Von 1945 an zog er umher und stahl, wurde eingebuchtet und freigelassen und stahl erneut.

Nach dem Tod des Polizisten setzte die größte Fahndungsaktion der Nachkriegszeit ein. Die Hundertschaften kamen aus Hannover und Braunschweig und von sonst wo her. Hundestaffeln rückten aus. Heeresflieger patrouillierten mit Hubschraubern. Feuerwehren durchkämmten Wälder.

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Was sie fanden, waren Fabeyers Verstecke, gepolstert und getarnt, mit Konservendosen und Süßigkeiten bestückt. Wen sie nicht fanden, war Fabeyer. Die Zeitungen schrieben über den struppigen Waldläufer, er klaute Anzüge aus Bürgerhäusern und saß, adrett gescheitelt, im Restaurant. Einmal waren ihm die Verfolger nah auf den Fersen, er lag unter einem Stapel Bohnenstangen in einer Scheune, die Beamten standen direkt davor. Aber sie wollten sich die Kleider nicht schmutzig machen.

Auf den Tag genau ein Jahr nach den Schüssen auf den Polizisten Brüggemann wurde Bruno Fabeyer in einem Kasseler Kaufhaus erkannt. Und vor 50 Jahren verurteilte ihn das Landgericht Osnabrück zu lebenslangem Zuchthaus. Nicht wegen Mordes, sondern wegen Totschlags in einem besonders schweren Fall. Fabeyers Anwalt sagte im Prozess, sein Mandant sei kein Killer. Er sei wie ein Raubtier, das angreift, wenn es sich in die Enge gedrängt fühlt.

In Hunteburg wurde ein Gedenkstein aufgestellt: „Hier starb von Mörderhand Pol. Obermstr. Heinrich Brüggemann.“ Für die Hunteburger war Fabeyer ein Mörder, da konnten die Gerichte zehnmal auf Totschlag erkennen.

Die Geschichte war noch nicht zu Ende. 1983, als Bruno Fabeyer 56 und Knast-Freigänger in Celle war, setzte er sich ab. Zwei Tage später griff ihn eine Streife in der Nähe von Bramsche auf. Fabeyer war ein Häufchen Elend, die Füße voller Blasen. Er wollte zum Grab seiner Mutter. Aber er fand sich nicht mehr zurecht in der Gegend, die er früher so gut gekannt hatte. Zu viele neue Straßen, Gebäude, Bahnlinien.

Bruno Fabeyer wurde 1992 freigelassen. Er lebte am Ende in einem Altenheim in Bad Orb, wo er an Herzversagen starb, 72 Jahre alt. Niemand dort kannte seine Vergangenheit. Er fiel nur auf, weil er immer ein Taschenmesser bei sich trug.

Als Freigänger ausgebüxt

Anny Gäfe erzählt, dass sie noch lange den Polizeifunk abgehört hat. Manchmal hat sie mit leichtem Herzklopfen den knarzenden Stimmen gelauscht. Sie erzählt es ein bisschen verschämt und ein bisschen stolz. Und sie lacht.

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Ein paar Tage später sagt sie am Telefon, sie habe das Radio ein weiteres Mal ausprobiert, es habe kaum noch einen Ton von sich gegeben. „Ich habe es jetzt doch weggeschmissen.“ Die Geschichte ist zu Ende.

Von Bert Strebe

HAZ

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