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Geburtsabteilungen zu teuer

Echte Insulaner werden selten

Baltrum, die kleinste der Ostfriesischen Inseln im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer, hat keine Geburtsabteilung. Bei Geburten werden die Mütter ausgeflogen.

Baltrum, die kleinste der Ostfriesischen Inseln im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer, hat keine Geburtsabteilung. Bei Geburten werden die Mütter ausgeflogen.

Baltrum. Eigentlich sollte ein Rettungshubschrauber kommen. Doch der Nebel zwischen Baltrum und dem Festland war zu stark – und Kristin Schlötels Wehen auch. So brachte die 35-jährige Urlauberin aus dem thüringischen Illmenau ihre Tochter notgedrungen auf Baltrum zur Welt, in Haus Nr. 204 – der Praxis einer Allgemeinmedizinerin auf der Insel. Baltrum, das sind Deiche, Dünen, ein Inselhafen, 554 Einwohner, durchnummerierte Häuser und zwei Ärzte. Es ist die kleinste der Ostfriesischen Inseln vor der Küste Niedersachsens.

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Kristin Schlötel hat großes Glück gehabt. Denn es ist gar nicht so einfach, ein Kind auf einer der sieben niedersächsischen Inseln geplant zur Welt zu bringen. Die Möglichkeit dazu gibt es in Deutschland derzeit nur auf zwei der zwanzig bewohnten Inseln – auf Föhr und auf der Nachbarinsel Sylt in Schleswig-Holstein. Noch. Denn der Sylter Kreißsaal wird jetzt auch geschlossen.

In letzter Minute gescheitert

Schwangere Frauen von der Nordsee-Insel Sylt müssen ihre Babys vom neuen Jahr an auf dem Festland zur Welt bringen. Das noch kurz vor Weihnachten vereinbarte Modell Sylter Kreißsaal ist gescheitert, weil nach Angaben des Kieler Gesundheitsministeriums die Hebammen ihren Ausstieg erklärt haben. 2012 gab es auf Sylt rund 90 Entbindungen. Nun müssen die Sylterinnen nicht nur bei Risikoschwangerschaften rechtzeitig eine Klinik auf dem Festland aufsuchen, sondern auch bei planmäßig erwarteten Geburten. Etwa zwei Wochen vor dem Termin können sie in Flensburg in ein ­Boarding-Haus einziehen.

Seitdem Norderney im Herbst des vergangenen Jahres seine Geburtshilfe-Abteilung schloss, gibt es auf den ostfriesischen Inseln keine gebürtigen Insulaner mehr – es sei denn, es sind Haus- oder Notgeburten wie im Fall von Familie Schlötel. Alle schwangeren Insulanerinnen und Urlauberinnen, für die eine Hausgeburt nicht infrage kommt, müssen seitdem auf Festland-Kliniken in Aurich, Emden oder Leer ausweichen. „Auf Baltrum war das Kind der Schlötels das erste seit 13 Jahren, das dort geboren wurde“, heißt es beim zuständigen Standesamt.

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Norderney war die einzige der Ostfriesischen Inseln, die überhaupt jemals eine Entbindungsstation hatte. Damit sich eine Geburtsabteilung lohnt, sind jährlich mehrere Hundert Geburten notwendig. Norderney ist mit rund 5800 Einwohnern zwar die größte der Ostfriesischen Inseln, auf der Insel gab es im vergangenen Jahr aber trotzdem nur noch 30 Geburten. Der letzte Belegarzt gab seine Tätigkeit wegen Erschöpfung und mangelnder finanzieller Rentabilität der Geburtsabteilung auf. Dazu kommen nach Angaben des Arztes auch juristische Unwägbarkeiten: „Wenn etwa wegen schlechten Wetters kein Hubschrauber kommen kann, und es zu Komplikationen kommt, will ich dafür nicht verantwortlich gemacht werden“, sagt der Arzt. Seinen Namen will er aus Angst vor Anfeindungen seitens der Inselbevölkerung nicht in der Zeitung lesen. „Für die Insulaner brach eine Welt zusammen, als ich aufgehört habe.“

Der Gynäkologe hatte zehn Jahre auf der Insel gearbeitet. Er erzählt, dass er allein im Jahr 2012 viermal nachts mit einer hochschwangeren Frau im Rettungsboot auf das Festland fahren musste. Von idyllischen Szenen sind die Inselgeburten, bei denen er half, weit entfernt. So fehlten bei Geburtskomplikationen auf der Insel Dinge, die auf dem Festland selbstverständlich seien. Etwa Ressourcen wie Blutkonserven oder auch eine Frühchenstation. „Die Geburt auf Inseln ist generell gefährlicher, das hat nichts mit Romantik zu tun. Viele Frauen gehen da zu unbedarft ran“, meint der Arzt.   

Auf Borkum, der zweitgrößten der Ostfriesischen Inseln, begleitete Hebamme Barbara Kosfeld bis zum Jahr 2011 Hausgeburten, eine Geburtsstation hat es dort nie gegeben. „Ich habe alles versucht und den Dialog mit der Stadtverwaltung gesucht. Doch Geburten sind dort nicht mehr erwünscht.“ Auch Kosfeld nennt das hohe medizinische Risiko als Grund, ihre Tätigkeit als Hebamme auf Borkum aufzugeben.

Bei der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft bedauert man die Entwicklung auf den Inseln sehr, zumal der niedersächsische Krankenhausplan noch ein Geburtshilfebett auf Norderney vorsieht. „Wir haben bis zuletzt für die Geburtsstation auf Norderney gekämpft. Aber wir haben Verständnis, wenn die Station für den Krankenhausträger finanziell nicht mehr tragbar ist“, sagt der stellvertretende Geschäftsführer Helge Engelke. Auf die Risiken von problematischen Geburten angesprochen, räumt er ein: „Für seltene Einzelfälle können wir keine Lösung anbieten.“ Das daraus bisher ein Schaden entstanden wäre, sei ihm aber nicht bekannt.

Auch bei Kristin Schlötel verlief die Geburt ohne Komplikationen. „Ich würde das wieder so machen, es ist ja alles gut gegangen. Alle Menschen waren sehr hilfsbereit, deshalb habe ich mich sehr wohlgefühlt“, sagt die dreifache Mutter. Mia wird die einzige echte kleine Insulanerin sein, wenn Familie Schlötel nächstes Jahr wieder nach Baltrum kommt. Für ihre Tochter Mia hat die 35-jährige Mutter dennoch einen besonderen Wunsch: „Mia ist auf Baltrum geboren – vielleicht lernt sie dort auch laufen.“

Von Sabrina Mazzola

HAZ

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