Entführer von Barmbek verurteilt
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Der Angeklagte Thomas F. neben seiner Anwältin im Gerichtsaal im Strafjustizgebäude in Hamburg.
© Quelle: dpa
Hamburg. Ob sie Angst vor Thomas F. habe, fragt der Polizist. „Ja, natürlich“, sagt die junge Frau: „Er ist verrückt!“ Die 26-jährige Gaststudentin aus Tel Aviv kannte Thomas F. kaum, als der Hartz-IV-Empfänger sie am Abend des 19. Augusts 2011 mit Handgranaten und einer Pistole bewaffnet in seine Wohnung in Hamburg-Barmbek verschleppte. Die Zweizimmerwohnung glich einer Festung: Stacheldraht vor den Fenstern, Überwachungskamera vor der Tür. Mit Holzbalken wollte der 30-Jährige die Wohnung von innen verbarrikadieren. In einem Zimmer lagerten 1,6 Tonnen Lebensmittel.
Die Polizei fand Hormonpräparate, Schwangerschaftstests und gynäkologische Instrumente. Nach Überzeugung der 6. Großen Strafkammer am Landgericht Hamburg wollte F. die junge Frau zwingen, mit ihm eine Familie zu gründen. Was der Angeklagte aber mit einer schalldichten, gelben Telefonzelle bezweckte, die die Polizei ebenfalls in seiner Wohnung sicherstellte, konnte nicht geklärt werden.
Die Anklage lautete auf Geiselnahme, Freiheitsentzug und Verstoß gegen das Waffen- und Kriegswaffenkontrollgesetz. Das Gericht sprach F. gestern von den Vorwürfen frei, da er ohne Schuld handelte. Ein psychiatrischer Sachverständiger hatte eine schizotype Störung diagnostiziert und konnte nicht ausschließen, dass F. wegen seines Liebeswahns während seiner Taten nicht steuerungsfähig war.
Strafe setzt Schuld voraus. Thomas F. aber ist krank, krank vor Liebe – und ohne Behandlung weiter gefährlich, stellte das Gericht am Mittwoch fest. Die Kammer ordnete die unbefristete Unterbringung in die Psychiatrie an.
Sein Interesse hatte sie bemerkt, gibt die Gaststudentin bei der Polizei an: „Aber ich hätte nicht gedacht, dass er mich so sehr liebt, dass er mich töten würde.“ Das Vernehmungsprotokoll ist in der Hauptverhandlung verlesen worden. Thomas F. habe sie mit Fragen über Israel bombardiert. Und die Art, wie der 30-Jährige das tat, kam ihr „merkwürdig“ vor. Als sie sich zufällig in der U-Bahn trafen, erzählte sie ihm, dass sie im August 2011 in ihre Heimat zurückkehren werde. Eine besondere Reaktion habe er nicht gezeigt.
Er habe „solche Angst und Furcht gehabt, sie nie wiederzusehen“, hatte seine Verteidigerin zu Prozessbeginn für ihren Mandanten vorgetragen. Also sei er am Abend des 19. August zu ihr ins Studentenwohnheim gefahren. Er habe sie „dazu zwingen wollen, sich wenigstens sein Liebesgeständnis anzuhören“. Sie öffnete die Tür, er zog eine Pistole und sagte: „Ich liebe dich! Ich will dich nicht verlieren!“ Die 26-Jährige habe immer nur „Nein! Nein!“ gerufen. Er habe ihr versichert: „Ich würde dich niemals töten!“ Dann zeigte er ihr die Handgranaten. Thomas F. hält den Blick gesenkt, während seine Verteidigerin weiter seine Erklärung vorträgt.
Sein Opfer habe geweint und gefragt: „Warum tust du das?“ „Du bist die einzige Frau, die nett zu mir gewesen ist“, habe er geantwortet. Und sie gezwungen, mit in seine Wohnung nach Barmbek zu kommen.
Der Psychiater hatte festgestellt, dass F. besessen war von dem Gedanken, eine Beziehung mit ihr zu führen. Irgendwann werde sie seine Liebe schon erwidern, habe er gedacht.
Schon mehrfach ist er dem Liebeswahn verfallen. 2003 traf es Eva Habermann. Er hatte die Schauspielerin in der Fernsehserie „Küstenwache“ gesehen. Wegen ihr zog er aus einem 600-Seelen-Dorf in Sachsen-Anhalt nach Hamburg. Er kampierte in ihrem Vorgarten, schrieb Briefe und durchwühlte ihren Müll. Wochenlang ging das so. Habermann war nicht sein einziges Opfer. Daten zu 19 jungen Frauen fand die Polizei auf seinem Computer. Doch aggressiv wurde er nicht. Das änderte sich, als er die Gaststudentin traf. Er steigerte sich in die fixe Idee hinein, sie wäre die Frau, mit der er seine Einsamkeit beenden könnte.
Als F. die 26-Jährige einen Moment im Zimmer seiner Wohnung alleine ließ, stürzte sie zum Fenster und sprang durch den Stacheldraht. Er rannte mit Handgranate und Pistole hinterher. Etwa neun Stunden befand sie sich in seinen Händen. Nachbarn sahen den Sprung und riefen die Polizei.
Seit der Tat leidet die Israelin unter Angstzuständen. Ihr Anwalt richtete dem Richter aus, sie wäre froh, nicht aus Israel zurück nach Hamburg kommen zu müssen. Das Gericht kam der Bitte nach.
Thomas F. schnieft, als der Vorsitzende Richter gestern nach fünf Verhandlungstagen das Urteil verkündet und das Wort direkt an ihn richtet. „Herr F., unbehandelt sind Sie gefährlich für die Allgemeinheit“, sagt der Richter. F. erklärt, er sehe ein, dass er eine Therapie brauche. Das Urteil ist rechtskräftig.
HAZ