Grüße aus dem Tunnel
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„Glück auf“: Stephan Weil (SPD), Ministerpräsident von Niedersachsen, besucht den Winterwieser Wasserlauf des Zellerfelder Kunstgrabens, einem Teil des Oberharzer Wasserregals.
© Quelle: dpa
Clausthal-Zellerfeld. Er hat sie alle schon da gehabt. Gerhard Schröder, Sigmar Gabriel, Christian Wulff, David McAllister – sie alle folgten Andre Pfau in den unterirdischen Schacht, den Bergleute vor mehreren Hundert Jahren unter unendlichen Mühen in den Harz gemeißelt haben. Andre Pfau ist der letzte ordentliche Bergmann im Oberharzer Wasserregal.
An diesem Mittwoch hat der 55-Jährige Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) zu Besuch. Auch ihm erzählt er von der Oberharzer Wasserwirtschaft – ein überaus kunstvolles System aus Teichen, Gräben und Wasserläufen, das im Bergbau dereinst eine wichtige Rolle spielte, konnten doch so Wasserräder in den Bergwerken effizient angetrieben werden. Der Bergbau ist längst tot, das Wasserregal hat die Unesco vor einigen Jahren zum Weltkulturerbe erklärt.
Vom Windkanal zur Wahl
„Glück auf“, sagt Bergmann Pfau, bevor er mit Helm, Grubenlampe und riesigen Gummistiefeln ausgestattet, Weil in das plätschernde, enge Reich in der Tiefe des Harzes führt. „Glück auf“, sagt auch Weil.
Es ist die sechste Sommerreise des Ministerpräsidenten. Und ein bisschen reist der 59-jährige Sozialdemokrat wie „Hans im Glück“ durch sein Bundesland, eines der wenigen, die überhaupt noch von Sozialdemokraten regiert werden.
Vor einem Jahr noch, als Weil in den hohen Norden mit großem Journalistentross zu seiner Sommertour startete, blies ihm der Wind heftig ins Gesicht – nicht nur beim Besuch eines Windkanals, sondern auch im übertragenen Sinn. Der Ministerpräsident musste sich gerade mit der Affäre um die nicht ordnungsgemäße Vergabe von Aufträgen durch die Landesregierung herumschlagen. Weil und seine SPD standen damals nicht allzu gut da – bis die Grüne Elke Twesten zur CDU überwechselte, Weil die rot-grüne Regierungsmacht in Hannover verlor, dafür aber ein emotionalisierendes Wahlkampfthema gewann – und am Ende der Sieger und Chef einer Großen Koalition war.
Was ist in Hannover los?
Weil genießt diesen Erfolg immer noch, betont selbst in Hintergrundgesprächen, wie ruhig und geschlossen, mehr oder minder, die Große Koalition ihre Themen voranbringe und wie wenig Einfluss die rechts stehende AfD in Niedersachsen habe. Das Glück des Stephan Weil wäre perfekt, wenn es denn nicht diese Affäre um Günstlingswirtschaft im hannoverschen Rathaus gäbe, die sich auch unter Kommunalbeamten und Politikern im Harz herumgesprochen hat.
Was, um Himmels willen, da denn los sei, wollen sie wissen. Und auch die mitreisenden Journalisten fragen Weil, wie es wohl weitergeht. Der Ministerpräsident reagiert mit einem Standardsatz: Als Oberbürgermeister von Hannover habe er sich immer mächtig über Ratschläge aus der Landespolitik geärgert, da wolle er jetzt als Landespolitiker nicht solche Ratschläge geben. Allerdings wirkt das Lächeln, das Stephan Weil dann aufsetzt, keineswegs so entspannt wie jenes, das er zeigt, wenn er über die Schönheiten des Harzes parliert. Und darum soll es doch eigentlich gehen. Es sei seine „pädagogische Absicht“, sagt Weil, auf dieser Sommertour die Schönheiten des Landes in Szene zu setzen.
Zumindest in Clausthal-Zellerfeld scheint das zu funktionieren. Gerhard Lenz von der Stiftung Welterbe im Harz vergleicht das Wasserregal in seiner Bedeutung mit dem Kölner Dom. Nur mit dem Unterschied, dass beim Dom alle Deutschen ein Bild von dieser Unesco-Welterbestätte vor sich hätten. Da sei es mit dem Wasserregal schon schwieriger.
Leibniz und sein Problem
Der Goslarer Landrat Thomas Brych spricht vom „Einstieg in die Premier League, die man mit dem Welterbestatus erreicht habe. Nun müssten nur noch die Touristen kommen“. Später erfährt man noch, dass schon der hannoversche Universalgelehrte Leibniz im 17. Jahrhundert Versuche in Clausthal gestartet habe, die Windkraft zum Betrieb der Wasserpumpen einzusetzen, was aber auch daran gescheitert sei, dass die Harzer Bauarbeiter den französisch sprechenden Gelehrten nicht verstanden hätten – ein Problem, das der umgängliche Weil nicht hat.
Kurz bevor er zu seiner nächsten Station aufbricht, dem Heidepark in Soltau, wird er vom Führer einer Blindenwandergruppe angesprochen. „Glück auf, Herr Ministerpräsident.“ Der Mann schenkt Weil ein kurzes Stück Seil – an solchen führen sich die Blinden gegenseitig durch den Harz. Einer müsse aber vorangehen und Führung zeigen. „Oder einer geht voran und singt.“
Ob das auch im hannoverschen Rathaus anzuwenden wäre?
Von Michael B. Berger