Plötzlich ist den Jägern das Jagen verboten
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„Hier lässt jetzt kein Jäger mehr die Sau raus“: Jan Gerdes hat die Wiesen seines Hofs Butenland in der Wesermarsch „befrieden“ lassen.
© Quelle: Mück
Hannover. Es war eine Kehrtwende, die den Landkreis überzeugt hat: Jan Gerdes aus Butjadingen in der Wesermarsch war früher Landwirt und begeisterter Jäger. Heute betreibt er einen Gnadenhof für alte Kühe und Schweine; Tierhaltung zur Fleischproduktion und die Jagd lehnt er ab – „aus ethischen Gründen“. Der 61-Jährige gehört zu den ersten Grundeigentümern in Niedersachsen, deren Wiesen und Wälder auf Antrag „jagdfrei“ gemacht wurden. „Ich habe früher mit angesehen, wie angeschossene Hasen qualvoll zugrunde gingen und betrunkene Schützen noch stolz darauf waren“, sagt der Veganer. „Hier lässt jetzt kein Jäger mehr die Sau raus.“
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte 2012 entschieden, dass es einem Grundstückseigentümer, der die Jagd aus Gewissensgründen zutiefst ablehnt, nicht zuzumuten ist, Jagd auf seinem Grundstück zu dulden. Seit Ende 2013 gilt deshalb Paragraf 6 a Bundesjagdgesetz: Flächen von Eigentümern, die die Jagd ablehnen und dies überzeugend begründen, sind unter bestimmten Voraussetzungen zu „befrieden“. Jäger dürfen dann nur noch rundherum Wild treiben und töten.
Anträge werden bei Landkreisen gestellt
Jeder 130. Niedersachse besitzt einen Jagdschein, teilt die Landesjägerschaft mit. „Das ist bundesweit der Spitzenwert“, sagt Sprecher Florian Rölfing. „Im Bundesdurchschnitt ist es einer von 218 Einwohnern.“ Eine Statistik über die Jagdgegner unter den Grundbesitzern im Land gibt es nicht. Die Anträge auf „Befriedung“ ihrer Flächen werden dezentral bei den Landkreisen gestellt und bearbeitet. Das Landwirtschaftsministerium in Hannover weiß nach einer Umfrage von 47 Anträgen. 22 davon seien zurückgenommen worden. Manche Jagdgegner schreckt die Gebühr von oft rund 1000 Euro. Einzelne haben eine andere Lösung gefunden: „Ich habe meine Wiesen an eine Naturschutzbehörde verkauft“, sagt ein Tierschützer aus dem Kreis Harburg. Wieder andere einigten sich mit den Jägern im Ort, wie ein Antragsteller aus Bassum (Kreis Diepholz). „Bei ihm hatte sich ein Jäger sehr danebenbenommen, der latschte immer mit Hund und Gewehr über seine Hofeinfahrt“, erzählt Detlef Keuling, der Hegeringleiter. Die Jägerschaft habe den uneinsichtigen Übeltäter ausgeschlossen, damit sei der Hofbesitzer zufrieden.
„Befriedung“ aus ethischen Gründen
Auch Thomas und Esther Huber vom ostfriesischen Ulmenhof haben mit einem – in ihrem Fall erfolgreich zu Ende gebrachten – Befriedungsantrag einen Jagdpächter in die Schranken gewiesen. „Der trampelte einfach unsere Zäune nieder“, erzählt Thomas Huber, der im Kreis Aurich mit seiner Frau ein Tierheim eröffnet hat. Es gab einen Schlichtungstermin mit der Jägerschaft, doch der betroffene Pächter habe danach eine Katze vom Ulmenhof erschossen und sogar das Ehepaar mit der Waffe bedroht. Die Jagdbehörde habe gleich verstanden, dass die Tierheim- und Gnadenhofbetreiber die Jagd aus ethischen Gründen ablehnen. Der Aufforderung, 1000 Euro Gebühr zu zahlen, sind die Hubers bisher nicht nachgekommen. „Es geht doch nur um eine Enklave von fünf Hektar“, sagt der 56-jährige Huber.
Ede Rieken im Nachbarkreis Wittmund dagegen wartet noch auf eine Entscheidung der Jagdbehörde. „Ich will den Jägern den Spaß am Töten von wehrlosen Tieren verderben“, sagt der Elektromeister zur Antragsbegründung. 100 Meter hinter seinem Grundstück steht ein Hochsitz auf einem Gemeindewaldweg, dadurch fühlt er sich auch direkt bedroht: Im Dezember habe ein fremder Jäger bei Dunkelheit in seine Wohnzimmerscheibe geschossen, erzählt Rieken: „Die Kugel hat mich nur um einen halben Meter verfehlt.“
Landesjägerschaft nur wenig beeinträchtigt
Da es sich insgesamt um recht kleine jagdfreie Flächen handelt, kann die Landesjägerschaft trotz manchen Ärgers vor Ort gut damit leben. „Die überschaubare Anzahl der Anträge verdeutlicht, dass die Aufgaben anerkannt werden, die Jägerinnen und Jäger wahrnehmen“, sagt Sprecher Rölfing. Dennoch könnten Tabuflächen inmitten von Jagdrevieren die Bejagung empfindlich stören.
„Durch die Befriedung entsteht ein Flickenteppich von bejagbaren und bejagungsfreien Zonen“, hat auch Henning Kaars, Sprecher der Revierpächter rund um Jan Gerdes, dem Landkreis geschrieben. Ohne Erfolg: Um zehn Hektar Wesermarsch müssen Jäger und Treiber nun einen Bogen machen. Dort sterben alle Tiere eines natürlichen Todes.
HAZ