Richter ächzen unter Klagewelle der Krankenkassen
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Das Landessozialgericht in Celle.
© Quelle: dpa
Hannover. Die niedersächsischen Sozialgerichte haben mit einer Klagewelle von Krankenkassen gegen Krankenhäuser zu kämpfen. Peter Heine, Präsident des Landessozialgerichts, sprach am Donnerstag bei der Vorstellung des Jahresberichts von einem schwer zu bewältigenden „Klagehagel“.
Allein in den ersten neun Novembertagen 2018 sind nach Angaben des in Celle ansässigen Gerichts landesweit 3200 Klagen zu 15.000 Abrechnungsfällen eingegangen. Hintergrund sei eine überraschende bundesweite Verkürzung der Verjährungsfristen gewesen. „Der erfreuliche Bestandsabbau von Fällen in den vergangenen Jahren wurde dadurch schlagartig zunichte gemacht“, sagte der Gerichtspräsident. Mindestens zehn neue Richterstellen seien erforderlich.
Bei den Streitigkeiten der Kassen mit den Krankenhäusern gehe es in den meisten Fällen um die Behandlung von Patienten mit akutem Schlaganfall sowie um geriatrische Behandlungen. Für diese beiden Bereiche hatte zuvor das Bundessozialgericht pauschale überhöhte Abrechnungen festgestellt.
Das Bundesgesundheitsministerium änderte daraufhin die Verjährungsfrist, um die Kliniken nicht über die Maßen mit Rückforderungen der Kassen zu belasten. Dies wiederum habe zu der überstürzten Klagewelle der Krankenkassen geführt, erläuterte Heine: „Sie haben die Klagen ganz schnell schnell eingereicht, die Begründungen stehen in den meisten Fällen noch aus.“ In der Sozialgerichtsbarkeit gebe es dafür nämlich keine Frist. Es gehe um durchschnittlich etwa 1500 Euro pro Fall, in Einzelfällen erstreckten sich Klagen auf bis zu Hunderttausende Euro.
Richter sind überlastet
Richterin Tina Meyer-Dulheuer schilderte, wie sich die Belastung an Niedersachsens größtem Sozialgericht in Hannover auswirkt. Sie arbeite mittlerweile wie in einer „Lagerhalle für Krankenhausrechnungen“, sagte sie. „Dabei muss ich mich noch um andere Verfahren kümmern.“ In ihrer Krankenversicherungskammer machten die Krankenhausstreitigkeiten statt bisher 60 Prozent nun 80 Prozent aus. Dies bringe Probleme für Kläger in anderen Bereichen mit sich, deren Anliegen oft dringender seien – ,,wenn zum Beispiel jemand ein lebensverlängerndes Krebsmedikament braucht“. Die Richter könnten zwar Prioritäten setzen, litten aber insgesamt unter der Überlastung. Zu den Aufgaben der Sozialgerichte gehören auch Auseinandersetzungen etwa um Hartz-IV und um Renten.
Allein in Hannover hatte es nach Angaben von Gerichtspräsidentin Gabriele Beyer innerhalb einer Woche 744 zusätzliche Klagen von Krankenkassen gegen Krankenhäuser gegeben. Dahinter steckten 1650 Einzelfälle, so viele wie sonst in einem ganzen Jahr. Da mit vielen Berufungen zu rechnen sei, werde auch das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen in Celle die Welle wohl demnächst zu spüren bekommen, meinte dessen Präsident Heine. Gespräche von Politik, Kassen und Krankenhäusern zu dem Thema hätten bisher keine wesentlichen Ergebnisse gebracht. Mit einer Rücknahme von Klagen in nennenswerter Zahl sei daher in naher Zukunft nicht zu rechnen.
Von Gabriele Schulte