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Landkreis Walsrode

Sorgerechtsstreit um zwei Mädchen eskaliert

Bei einer Trennung der Eltern sind es häufig die Kinder, die darunter leiden, wenn sie sich für eine Seite entscheiden müssen.

Bei einer Trennung der Eltern sind es häufig die Kinder, die darunter leiden, wenn sie sich für eine Seite entscheiden müssen.

Walsrode/Uelzen. Die Kinder sind wieder da. Beide Mädchen sind wieder dort, wo sie sein wollen, bei ihrer Mutter. Die lange, schwere Phase, die im März begann, als sie mit Gewalt weggeholt wurden, die ist seit Mitte Juli vorbei. Es gibt ein Foto, aufgenommen kurz nachdem sie wieder zu Hause waren, da lächeln sie in die Kamera. Aber die Anspannung kann man noch sehr genau sehen, in den Schatten um ihre Augen herum, in der Spannung der Körper. Und was sich von all dem, was sie erlebt haben, in ihren Seelen festgefressen hat, das wird sich wohl erst später herausstellen.

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Die Namen der Mädchen werden hier nicht genannt, nur so viel: Die Jüngere ist zehn, die Ältere ist 13. Die Ehe der Eltern ist vor fünf Jahren gescheitert. Die Gründe sind nicht erheblich, erheblich ist: Das Zerwürfnis ist allem Anschein nach nicht zu kitten. Verletzungen und Misstrauen bestimmen das Verhältnis, das eher ein Nicht-Verhältnis ist. Die Mädchen bleiben nach der Trennung bei der Mutter und leben nach einiger Zeit mit ihr und dem Stiefvater, zu dem sie ein gutes Verhältnis haben, im Landkreis Walsrode. Der Vater wohnt in Uelzen. Sie sehen ihn nicht oft.

2014 beantragt der Vater das alleinige Sorgerecht. Die Mädchen aber wollen bei der Mutter bleiben und wollen den Vater auch nicht treffen, was sie mit schlechten Erfahrungen begründen. Vermittlungsversuche des Jugendamtes bringen nichts. Das zuständige Amtsgericht sagt schließlich: Die Kinder sollen bleiben, wo sie sind.

Verfahren über 20 Monate

Aber der Vater zieht vors Oberlandesgericht Celle. 20 Monate dauert das Verfahren. Die Richter möchten zunächst, dass es zu einer einvernehmlichen Lösung des Konflikts kommt. Ein Gutachter, dem der Ruf vorauseilt, dass er gern auf Seiten der Väter steht, befindet, es bestehe eine Kindeswohlgefährdung, wenn die Mädchen den Umgang mit ihrem Vater ablehnten. Die Mutter lehnt den Gutachter ab. Und den nächsten Gutachter, einen Psychiater und Psychotherapeuten aus Göttingen, lehnt sie auch ab. Aber er darf, wie der Anwalt der Mutter berichtet, vor Gericht trotzdem eine Beurteilung abgeben: Er diagnostiziert, ohne mit ihr gesprochen zu haben, eine Persönlichkeitsstörung der Mutter. Und er erklärt, die Kinder sollten zum Vater ziehen. Das Gericht folgt dieser Einschätzung. Der Vater bekommt das Sorgerecht.

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Im März dieses Jahres ist es so weit. Nach Berichten von Jugendamt, Betreuern und Anwalt ergibt sich folgendes Bild: Bei einem Termin im Amtsgericht Walsrode werden die Kinder, weil sie sich sperren, von Gerichtsvollzieher und Justizvollzugsbeamten ins Auto gezerrt und zwangsweise zum Vater gebracht. Dort angekommen, verweigern sie das Essen. Die Jüngere sagt, sie wolle aus dem Fenster springen. Der Bereitschaftsdienst des Kreisjugendamtes Uelzen muss kommen, mehrfach, die Polizei auch. Schließlich – es sind gerade vier Tage vergangen – befindet das Jugendamt, dass die Kinder beim Vater gefährdet sind. Es bringt sie in einem nahegelegenen Heim in Göddenstedt unter.

Dort wird es aber auch nicht besser. Die Mädchen widersetzen sich dem Schulbesuch, die Ältere bekommt Akne von all dem seelischen Druck. Der Vater bemüht sich, mit ihnen zu reden. Kommt er, sitzen die Kinder abwesend da, schauen ihn nicht an, antworten nicht, warten, dass es vorbeigeht, und die Ältere sticht sich immer wieder mit dem Daumennagel in die Haut. Auch das Heim selbst kann keinen Kontakt aufbauen. Von sich aus reden die Kinder meist nur, um zu sagen, dass sie zu ihrer Mutter wollen. Mehrfach laufen sie weg und machen sich auf den Weg Richtung Walsrode. Ein Betreuer beschreibt sie als „überwiegend traurig und sehr belastet“.

„Schreckliches Erleben“

Am Ende kommt das Jugendamt des Landkreises Uelzen zu dem Ergebnis, dass sich die Annahme der Richter des Celler Oberlandesgerichts und ihres Gutachters aus Göttingen, die Kinder seien beim Vater besser untergebracht, „als falsch erwiesen“ habe. Die zuständige Sachbearbeiterin schreibt in einer Mitteilung ans Familiengericht, zwar habe die Mutter die Kinder in der Vergangenheit mit hoher Wahrscheinlichkeit negativ beeinflusst, was ihren Kontakt zum Vater angehe. Aber seit der Vater ihren Aufenthalt bei ihm erzwungen habe, basiere ihre Ablehnung auf ihrem eigenen „schrecklichen Erleben“. In dem Schreiben ist viel von Angst und Trauer und Wut und Hoffnungslosigkeit der Mädchen die Rede: „Die Schädigung, die eine derartige Isolation und emotionale Belastung mit sich bringt, wird vom hiesigen Jugendamt als erheblich angesehen.“

Im Juli hat das Amt die Kinder zu ihrer Mutter zurückbringen lassen. Zudem hat es beantragt, dem Vater „die Personensorge über die Kinder zu entziehen“. Über das weitere Verfahren, etwa die mögliche Einsetzung eines Vormunds, ist noch nicht entscheiden.

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Aber erst mal sind die Kinder wieder da. Und vielleicht kehrt ja jetzt Frieden ein: Der Vater bestätigt, er habe sich entschlossen, auf „Teilbereiche des Sorgerechts“ zu verzichten. Mehr will er nicht sagen.

Ein juristisches Nachspiel kommt aber in jedem Fall noch: Die Mutter hat gegen den Gutachter, der sie als erziehungsunfähig eingestuft und empfohlen hat, ihr die Kinder wegzunehmen, Strafantrag gestellt. Gleichzeitig kritisiert die Verfahrensbeiständin Carola Wilcke das Verhalten der Gerichte scharf, im Hinblick auf die Wahrung des Kinderwohls.

Von Bert Strebe

HAZ

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