Student mit Einser-Abitur kauft Jura-Examen
Celle. In der Affäre um verkaufte Lösungen für das Jura-Examen in Niedersachsen stehen jetzt die Abnehmer im Mittelpunkt. Am Donnerstag wurde der ehemalige Anwalt Jens H. vor dem Amtsgericht Celle zu sieben Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Der Richter sprach den 39-Jährigen der Bestechung schuldig, weil er von dem bereits wegen Korruption verurteilten Richter im Justizprüfungsamt Lösungen für Klausuren gekauft habe. H. ist der erste von derzeit 13 angeklagten Juristen, die alle die unlautere Hilfe in Anspruch genommen haben sollen. In weiteren Verfahren laufen Ermittlungen.
Der 39-Jährige räumte ein, dass er vom ehemaligen Amtsrichter vier Klausuren gekauft hat. Jörg L. habe dem Angeklagten die Lösungen als „Basispaket mit Bestehensgarantie“ für 10 000 Euro angeboten, sagte die Staatsanwältin in der Anklageverlesung. Nach zwei konspirativen Treffen mit Richter Jörg L. in der Gaststätte „Cellkern“ griff H. dann auch zu, bestand das Examen mit 8,5 Punkten und wurde im Oktober 2014 Rechtsanwalt – jedoch nur für kurze Zeit. Im November durchsuchten Polizeibeamte seine Wohnung. Da saß Jörg L. bereits in Untersuchungshaft. Er war im Frühjahr 2014 aufgeflogen und nach einer spektakulären Flucht in einem Mailänder Hotel festgenommen worden.
Jörg L. bestätigte als Zeuge die Vorwürfe der Anklage. Nach seinem derzeitigen Beruf gefragt, gab der frühere Richter an: „Hilfsarbeiter in der Justizvollzugsanstalt“. L. erschien in Lederjacke und schwarzem Kapuzenpullover. Seit Februar sitzt der sichtlich abgemagerte 49-Jährige eine fünfjährige Haft ab. Vor dem Landgericht Lüneburg war er in elf Fällen wegen Bestechlichkeit und Geheimnisverrats verurteilt worden.
Am Donnerstag kam heraus, dass L. im Juni in Haft weitere Fälle gestanden hat. Zu neuen Verfahren gegen ihn kommt es aber nicht – sie wurden nach Angaben des Verdener Ersten Staatsanwalts Jörg Gaebel eingestellt. Die Aussage hat offenbar weitere Ermittlungen gegen Examenskandidaten ermöglicht oder diese ausgeweitet. Der gestern verurteilte Jens H. gehört wohl zu den Fällen, deren Ausmaß erst danach voll bekannt wurde.
Es sei „bizarr“, sagte die Staatsanwältin, „wie auch schlaue Menschen sich in Abhängigkeit von L. begeben haben“. H. hat ein Einser-Abitur. Sein erstes Examen war überdurchschnittlich. Dennoch war er im ersten Versuch durch das Zweite Examen gefallen – H. gab an, er leide unter Prüfungsangst und chronischen Schmerzen, die in Prüfungssituationen unerträglich würden. Wegen starker Schmerzmittel sei er beim ersten Versuch durchgefallen. Darum sei er auf das Angebot eingegangen. H. bereut dies heute. „Ich hätte es ohne Hilfe geschafft, das ist das demütigende.“ Seine Examensurkunde gab er freiwillig zurück.
HAZ