Vom rechten Totschläger zum Sozialarbeiter
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Die sogenannten Springerstiefel des Teilnehmers einer Demonstration der Rechten Szene, aufgenommen am Ende 2000 in Dortmund. Nicht immer sind Extremisten heute an ihrer Kleidung zu erkennen.
© Quelle: picture alliance / dpa
Hannover. Die rechtsextreme Gesinnung sei eher nachrangig gewesen. „Hauptsache Action und Gewalt“, sagt Torsten. Der schwer tätowierte 45-Jährige, der von seiner Zeit in der Hooligan- und Rechtsextremistenszene spricht, ist ein „Experte der besonderen“ Art, wie Moderator Andreas Schwegel vom Landeskriminalamt sagt.
Torsten, der eigentlich ganz anders heißt, berichtet bei einem Symposium des niedersächsischen Verfassungsschutzes, wie er als zwölfjähriger Junge aus mehr oder minder behüteten Verhältnissen in die Extremistenszene geriet. In der Schule sei er für die anderen Klassenkameraden nur „der Arsch“ gewesen. Anerkennung habe er erst bei den Skinheads gefunden, deren Aggressivität und „markantes Männerbild“ ihn lockten. „Ich habe in Belgien mit der Kalaschnikow geschossen, dagegen hat ein Kickertisch in Hannover keine Chance“, sagt Torsten, der für seine Gewaltexzesse einige Jahre in Nordrhein-Westfalen im Gefängnis saß.
Kameraden bleiben gefährlich
„Raus aus dem Extremismus – Chancen und Herausforderungen“ heißt das Forum, bei dem auch Torsten Gast ist. Seinetwegen darf auf der Versammlung nicht fotografiert werden. Auch der wahre Name des Aussteigers aus der Szene bleibt anonym. „Im rechtsextremistischen Bereich müssen die Leute immer damit rechnen, von ihren ehemaligen Kameraden heimgesucht zu werden“, sagt LKA-Experte Schwegel.
Aktion Neustart heißt das Aussteigerprogramm, das Niedersachsen im Jahr 2010 mit Blick auf den Rechtsextremismus eingerichtet hat. „Es ist erfolgreich und hat seit dieser Zeit 101 Personen betreut und 40 von ihnen überzeugt, aus der Szene auszutreten“, berichtet Niedersachsens neuer Verfassungsschutzpräsident Bernhard Witthaut. 21 Rechtsextremisten seien noch in der Betreuung.
Im Vergleich dazu sehen die Zahlen beim Islamismus nicht so gut aus – seit zwei Jahren läuft in diesem Bereich ebenfalls ein Aussteigerprogramm. Hier sei es bislang lediglich zwei Extremisten gelungen, sich aus ihrer Szene zu lösen, sechs weitere seien noch „in der aktiven Betreuung“. Immerhin 43 Menschen habe man ansprechen können. „Ein wirklich effektiver Kampf gegen den Extremismus kann nur gelingen, wenn Repression und Prävention Hand in Hand gehen“, sagt Witthaut. Deshalb solle man die Diskussion um Präventionsmaßnahmen keinesfalls auf eine reine Kosten-Nutzen-Diskussion verengen.
Torsten konnte während und nach seiner Haft zum Ausstieg aus der Szene bewegt werden. Alkoholexzesse, Schlägereien, Drogenkonsum und -handel – „sieben intensive Jahre, gespickt mit Straftaten“ habe er in der Szene verbracht. Als 19-Jähriger hat er einen anderen so schwer verprügelt, dass der an den Folgen der Tat starb. Jetzt arbeitet der ehemalige Extremist in Nordrhein-Westfalen als Sozialarbeiter: „Ich bin seit einem Vierteljahrhundert straffrei, früher war ich das noch nicht einmal eine Woche.“
Extremismus sei ein Weg für solche, die schon von zu Hause oder aus der Schule Probleme mitbrächten, sagt Christopher Krumm, der im nordrhein-westfälischen Innenministerium Aussteigerprogramme betreut, allerdings im linksextremistischen Sektor. 1000 Anhänger habe dort die linksextremistische Szene, zu der Autonome wie auch die kurdische PKK gerechnet werden. Insgesamt 21 gewaltbereite Linksextremisten habe man zum Ausstieg bewegen können.
Das Schwierigste sei es, an die ausstiegsbereiten Extremisten überhaupt heranzukommen, „emotional anzudocken“, sagt Thomas Mücke. Er vertritt als Gründer des Berliner Vereins Violence Prevention das Konzept einer aufsuchenden Sozialarbeit. „Wertschätzend und demütigungsfrei“ müsse der Umgang mit den Jugendlichen geschehen. Die meisten Meldungen über gefährdete Jugendliche kämen von den Angehörigen, auch von der Polizei – aber am wenigsten aus den Schulen, berichtet Mücke. Immer häufiger seien zudem junge Frauen in extremistischen Szenen vertreten.
Wachsende Rolle von Frauen
Das bestätigen auch Aussteiger Torsten und Benno Köpfer, der beim baden-württembergischen Verfassungsschutz für internationalen Extremismus zuständig ist. „Heute übernehmen Frauen organisatorische Verantwortung“, sagt Torsten. Das sei auch in der salafistischen Szene so, berichtet Köpfer. Häufig seien die Frauen bei den Islamisten „schlauer als die Männer“.
Einig sind sich die Experten auf dem Podium des Verfassungsschutzes, dass die Ideologie in der gewaltbereiten Szene oft nachgereicht werde, dann aber das ganze Leben der Extremisten präge. Torsten berichtet, dass er früher nur heimlich Döner gegessen habe, denn dies sei bei den Kameraden ein absolutes Tabu gewesen. „Ganz ohne Ideologie geht es natürlich nicht“, sagt Terrorismusexperte Köpfer. Wolfgang Freter vom niedersächsischen Verfassungsschutz unterstreicht, dass im Rechtsextremismus die Ideologie stetig weiterentwickelt werde und sehr wohl eine große Rolle spiele.
Im nordrhein-westfälischen Aussteigerprogramm für Islamisten habe man seit 2014 etwa 140 Klienten gehabt, sagt Christopher Krumm. Religion sei da fast nie ein Thema gewesen.
Von Michael B. Berger
HAZ