Wie ein Verein aus Rendsburg Bedürftigen unter die Arme greift
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Plötzlich fand ein Obdachloser passende Schuhe in Größe 47: Winfried Trampenau bestückt die Schuhregale.
© Quelle: Uwe Paesler
Rendsburg. Aus 14 Containern und einem Wohnwagen besteht ihr Reich: Auf dem Gelände einer ehemaligen Kaserne in Rendsburg sammeln, reparieren und verteilen die Mitglieder des Vereins W.I.R. für Rendsburg Sachspenden für bedürftige Menschen. Rund 65.000 Gegenstände haben sie nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr weitergegeben.
Als 2015 viele Flüchtlinge nach Deutschland kamen, fanden sich in Rendsburg zunächst ein paar freiwillige Helfer zusammen, die Spenden sammelten und verteilten. Doch um strukturierter zu arbeiten und für die Spender seriöser zu wirken, gründeten sie schnell ein Verein. „Das war 2015 eine tolle Sache, da wurde einfach gemacht“, sagt der Vereinsvorsitzende Steffen Uebelhör (48).
Aus spontaner Hilfe wurde ein Dauerprojekt
Die Abkürzung „W.I.R.“ steht für „Der Wille zu helfen, die Initiative ergreifen, das Richtige tun.“ Bald gab der Verein die Spenden nicht nur an Geflüchtete, sondern ebenso an andere Bedürftige heraus – und macht das anders als viele andere Initiativen, die in der Flüchtlingskrise spontan entstanden waren, auch fünf Jahre später noch. Denn den Rendsburgern ist bewusst, dass die Not nach wie vor groß ist. Statt darüber zu jammern, haben sie weitergemacht, auch wenn es gerade in diesem Jahr alles andere als einfach gewesen ist.
In einigen Containern stapeln sich die Kartons, auf denen vorn vermerkt ist, welche Größe die Kleidung hat, ob sie für Sommer oder Winter ist und für Damen, Herren, Mädchen oder Jungen. Für Nachschub an sortierter Kleidung sorgt an diesem Tag Evelin Uebelhör (71), die Mutter des Vereinsvorsitzenden. „Ich kann helfen und habe was um die Ohren“, begründet die Rentnerin ihr Engagement – mindestens dreimal pro Woche komme sie her.
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„Ich kann helfen und habe was um die Ohren“: Evelin Uebelhör prüft und sortiert Kleiderspenden.
© Quelle: Uwe Paesler
Zwei Container weiter sitzt Mawa Kühn (39) an der Nähmaschine, sie wurde wie zwei weitere Mitarbeiter über ein Teilhabeprojekt des Jobcenters vermittelt. Kühn repariert manches Kleidungsstück oder näht Taschen aus Spenden, deren Zustand zu schlecht ist, um sie noch weiterzugeben. Über einen Buchhändler in Rendsburg werden die Produkte verkauft.
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Gegenüber der Nähwerkstatt steht Winfried Trampenau (58) im Shop des Vereins und räumt auf. Auf der Fläche, die drei Container umfasst, gibt es Gläser und Handtücher ebenso wie Schuhe, Jacken oder auch ein Sakko in Kindergröße. Hier können sich die Bedürftigen für 2,50 Euro pro Person nehmen, was sie brauchen. Trampenau, der ebenfalls über das Jobcenter gekommen ist, hilft ihnen dabei.
Schuhe, Größe 47, für einen Obdachlosen
Pro Haushalt wird ein Termin vereinbart, die Menschen haben dann eine Stunde Zeit, sich Kleidung, Schuhe und Hausrat auszusuchen. „Die Leute haben nicht immer eine klare Vorstellung, was sie haben wollen. Aber wir haben auch nicht immer das gleiche Sortiment“, sagt Trampenau. Und manchmal rechnen die Menschen wohl auch nicht damit, zu finden, was sie suchen. „Wir saßen vor einiger Zeit mal wieder zusammen, um zu überlegen, wie es weitergeht, als wir einen Schrei hörten“, erzählt Steffen Uebelhör. „Der kam von einem Obdachlosen, der bei uns endlich Schuhe in Größe 47 gefunden hatte.“
Ein paar Container weiter ist die Fahrradwerkstatt untergebracht. Auf der Werkbank steht ein kleiner Tretroller, leuchtend grün angemalt. Nicht nur er, auch Räder und Kinderwagen werden hier wieder fitgemacht. „Das Herrichten eines Fahrrads kostet uns im Schnitt 80 Euro, wir geben es für 30 Euro raus“, sagt Uebelhör. Früher hätten sie die Räder verschenkt, doch dann sei mancher Empfänger nicht pfleglich mit ihnen umgegangen, teils täglich wieder zur Werkstatt gekommen. „Seit sie etwas kosten, ist das besser geworden.“
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Blick in die Fahrradwerkstatt: Aufbereitung, bevor Räder und Roller in den Verkauf gehen.
© Quelle: Uwe Paesler
Für die benötigten Gegenstände etwas zu zahlen, gebe den Menschen aber auch etwas, sagt Katja Ledwinka (49), die zweite Vorsitzende des Vereins. „Dann sind sie nicht einfach auf Almosen angewiesen.“ Eine Mutter etwa tausche von Saison zu Saison die zu klein gewordene Kinderkleidung gegen passende aus. Auch Uebelhör betont, dass es für die Menschen nicht immer einfach sei, die Hilfe anzunehmen. „Vor allem, wenn man dabei auch noch gesehen wird – deswegen machen wir die Einzeltermine.“
Der Verein benötigt 20.000 Euro pro Jahr
Die Arbeit des Vereins am Laufen zu halten, ist nicht leicht. Rund 20.000 Euro braucht W.I.R. für Rendsburg pro Jahr. Doch 2020 sei schwierig gewesen, durch die Corona-Pandemie seien viele Geldspenden – und Gelegenheiten, sie zu sammeln – weggefallen, schildert Uebelhör. Im Sommer seien sie zudem gezwungen gewesen, ihren bisherigen Standort in einer alten Werkstatt-Halle aufzugeben. Der Vermieter habe Eigenbedarf angemeldet. Dadurch hätten sie 450 Quadratmeter Lagerfläche eingebüßt, es blieben noch die 210 Quadratmeter in den Containern.
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„Eigentlich kann jeder so etwas machen, es macht nur nicht jeder“: Steffen Uebelhör.
© Quelle: Uwe Paesler
Lagerfläche und Shop sind jetzt wesentlich kleiner. „Manches ist hier aber auch besser. Die Container sind beheizbar und halten dem Regen stand“, sagt Uebelhör. Nach einer dauerhaften Lösung sucht der Verein dennoch, die muss aber möglichst zentral liegen und für die Spendenempfänger auf jeden Fall mit dem öffentlichen Nahverkehr erreichbar sein.
Doch auch wenn noch keine feste Immobilie gefunden ist, machen die Rendsburger weiter. Die 15 Vereinsmitglieder, die ehrenamtlich helfen, würden dabei ebenso alle Aufgaben übernehmen wie auch die drei Mitarbeiter, erzählt Uebelhör, der selbst fast jeden Tag auf dem Gelände ist. „Eigentlich kann jeder so etwas machen, es macht nur nicht jeder. Viele jammern rum, aber man muss auch mal seinen Hintern hoch kriegen.“
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Von Jördis Früchtenicht